III. Migräne Akuttherapie
1. ***** Skingle M, Beattie DT, Scopes DIC, Starkey SJ, Connor HE, Feniuk W, Tyers MB (1996). GR 127935: a potent and selective 5-HT1D receptor antagonist. Behavioural Brain Research 73:157-161
In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Serotonin (5-HT) Unterrezeptoren identifiziert und kloniert. Einer der wichtigsten Rezeptoren im Zentralnervensystem und an peripheren Nervenendigungen ist der 5-HT1D-Rezeptor. An diesem Rezeptor greifen u.a. Sumatriptan und die anderen neuen 5-HT1B/D-Agonisten an. Für die weitere Entwicklung von neuen Pharmaka, die an diesem Rezeptor binden, war es dringend notwendig, einen selektiven Antagonisten zu entwickeln. Den Pharmakologen von Glaxo/Wellcome gelang es, durch Modifikation des Sumatriptan-moleküls eine neue Substanz zu synthetisieren, GR 127935, die diese Bedingung erfüllt. Die Substanz bindet hochspezifisch an den 5-HT1D-Rezeptor und bindet sehr viel weniger an die anderen Serotonin-Rezeptor-Untertypen. Im Tierexperiment ist die Substanz in sehr niedriger Dosis in der Lage, die vasokonstriktiven Eigenschaften von Sumatriptan an der V. saphena des Hundes und an der A. basilaris zu hemmen. In vivo-Experimente zeigten, daß GR 127935 sowohl intravenös wie oral gegeben werden kann. Es antagonisiert auch zentrale 5-HT1D-Rezeptoren. Mit GR127935 steht erstmals ein hochpotenter Antagonist des 5-HT1D-Rezeptors zur Verfügung, der lang bindet und mit niedriger Konzentration den Rezeptor hemmt. (HCD)
2. *** Benson JM, Zorn SL, Book LS (1995). Sumatriptan in the treatment of cyclic vomitting. Ann Pharmacother 29:997-999
Das intermittierende periodische Erbrechen ist eine bisher weitgehend unverstandene Erkrankung, bei der es in Phasen zu Übelkeit und heftigem Erbrechen kommt unterbrochen von längeren Phasen relativer Beschwerdefreiheit. Das Krankheits-bild tritt meistens bei Kindern auf. Es wird von einigen Autoren als Unterform der Migräne ohne Kopfschmerz verstanden. Der Fallbericht beschreibt einen 19 Jahre alten Mann, der in einem Zeitraum von 4 Jahren 15 mal wegen Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Flüssigkeitsverlust stationär aufgenommen worden war. Die Phasen des heftigen Erbrechens klangen in der Regel nach 3 – 11 Tagen spontan ab. Alle Versuche einer medikamentösen Behandlung waren ohne Effekt. Zu Beginn einer weiteren Periode mit Erbrechen wurde er mit 6 mg Sumatriptan subcutan behandelt, das innerhalb von 2 Stunden das Erbrechen zum Stillstand brachte. Der Patient führte diese Therapie in der Folgezeit durch und war bei jeder Episode in der Lage, Übelkeit und Erbrechen durch Sumatriptan-Injektionen zu durch-brechen. Dieser Fallbericht ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert:1. Es konnte zum ersten Mal gezeigt werden, daß das paroxysmale Erbrechen beim Erwachsenen durch ein spezifisches Migränemittel behandelt werden kann, und 2. muß angenommen werden, daß Sumatriptan bei diesem Patienten in der Lage war, die Bluthirnschranke zu überwinden, da sonst nicht erklärt werden kann, wie es das Erbrechen, das zentral ausgelöst war, unterdrücken konnte. (HCD)
3. * Jayamaha JEL, Street MK (1995). Fatal cerebellar infarction in a migraine sufferer whilst receiving sumatriptan. Intensive Care Med 21:82-83
Der Fallbericht referiert einen 39 Jahre alten Mann mit schweren Migräneattacken, die nur auf Sumatriptan ansprachen. Es bestand eine positive Familienanamnese bezüglich coronarer Herzerkrankung und ein erhöhtes Serum-Cholesterin. Ansonsten bestanden keine vaskulären Risikofaktoren. 5 Tage vor der stationären Aufnahme entwickelte der Patient eine typische Migräneattacke mit Übelkeit und Erbrechen sowie visueller Aura. Er behandelte die Migräneattacke mit 100 mg Sumatriptan oral und ging zu Bett. Am nächsten Morgen fühlte er sich schwindelig und hatte eine Dysarthrie. In den nächsten 3 Tagen verschlechterte sich sein Zustand. Als am 5. Tag der Notarzt eintraf, bestand ein Atem- und Herzstillstand und der Patient mußte reanimiert werden. Er verstarb kurz darauf. Die neuropathologische Untersuchung zeigte eine große links-cerebelläre Ischämie mit Hydrocephalus occlusus. Die Autoren postulieren einen Zusammenhang zwischen den vasokonstriktiven Nebenwirkungen von Sumatritpan und den Symptomen des Patienten. Dies erscheint unwahrscheinlich, da der Patient Sumatriptan am Abend einnahm und erst am nächsten Morgen – längst nach Abklingen der Wirkung von Sumatriptan – die ersten Symptome einer Hirnstammischämie auffielen. Die Tatsache, daß die Symptome über die nächsten 3 Tage progredient waren, sprechen für eine Basilaristhrombose und gegen eine Sumatriptan-vermittelte cerebelläre Ischämie durch Vasokonstriktion. (HCD)
4. **** Lassen LH, Ashina M, Christiansen I, Ulrich V, Olesen J (1997). Nitric oxide synthase inhibition in migraine. Lancet 349:401-402
Die Arbeitsgruppe um Olesen vertritt die sog. Stickstoffmonoxid-Theorie der Entstehung der Migräne. Nach dieser Theorie wird der Kopfschmerz durch die Freisetzung von Stickstoffmonoxid und die daraus resultierende Vasodilatation ausge-löst. Die Gabe von Substanzen, die Stickstoffmonoxid freisetzen wie Nitroglycerin und Histamin, kann mit zeitlicher Latenz bei Migräne-patienten Migräneattacken auslösen. Um diese Hypothese zu untersuchen, wurde eine Studie mit dem Stickstoffmonoxid-Synthetasehemmer 546C88 der Fa. Glaxo durchgeführt. In die doppel-blinde Studie wurden 18 Patienten aufgenommen. 15 erhielten intravenös 6 mg/kg 546C88, 3 erhielten Placebo und 11 Placebo-Patienten aus anderen Studien wurden hinzugenommen. 546C88 hatte signifikante Effekte auf den Kopfschmerz nach 60 und 120 min, auf die Lärmempfindlichkeit nach 120 min, auf die Photophobie nach 60 und 120 min und auf das allgemeine Krankheitsgefühl nach 60 min. Übelkeit und Erbrechen wurden nicht beeinflußt. Während der Unter-suchung wurden transcranielle Doppleruntersuchungen durchgeführt, die keine vasokonstriktiven Eigen-schaften von 546C88 zeigten. Die Studie hat allerdings auch Schwächen. So ist es in einer modernen Studie nicht zulässig, historische Kontrollen aus Placebo-Patienten zu benutzen. Weiterhin waren in der Placebo-Gruppe deutlich mehr Patienten mit schweren Attacken und ausgeprägter Behinderung durch die Kopf-schmerzen. Daher muß zunächst noch eine größere doppel-blinde Studie durchgeführt werden, um zu belegen, daß ein Stickstoffmonoxid-Synthetasehemmer tatsächlich bei Migräne eingesetzt werden kann. Sollte dies reproduzierbar sein, stünde hier eine Substanz zur Verfügung, die im Gegensatz zu den Serotoninagonisten keine vasokon-striktiven Nebenwirkungen hat. Die Autoren haben sich allerdings nicht dazu geäußert, ob die verwendete Substanz auch ausreichend oral resorbiert wird. (HCD)
5. ** López-Alemany M, Ferrer-Tuset C, Bernácer-Alpera B (1997). Akathisia and acute dystonia induced by sumatriptan. J Neurol 244:131-133
Sumatriptan ist ein 5-HT1B/D-Rezeptoragonist. In Spanien wurden jetzt 5 Patienten beobachtet, 4 Frauen und 1 Mann, bei denen in einem Zeitraum zwischen 5 Minuten und einer Stunde nach Einnahme von Sumatriptan eine Akathisie, d. h. ein Bewegungszwang und Unfähigkeit, ruhig zu sitzen oder zu stehen, vorlag. Eine Patientin entwickelte auch über einen Zeitraum von 10 min orale Dyskinesien. Im Moment ist unklar, wie diese Nebenwirkung neuro-pharmakologisch vermittelt wird, da Sumatriptan hochspezifisch für 5-HT1B/D-Rezeptoren ist und unter normalen Umständen nicht die Bluthirnschranke überwindet. Suma-triptan bindet auch nicht an dopaminerge Neurone. Einer der Patienten benutzte Sumatriptan ein zweites Mal nach mehreren Wochen und hatte dieselben Nebenwirkungen. Alle Patienten brachen die Behandlung wegen dieser Nebenwirkungen ab. (HCD)
6. ****Goldstein J, Dahlöf CGH, Diener H-C, Olesen J, Schellens R, Senard JM, Simard D, Steiner TJ on behalf of the Subcutaneous Alniditan Study Group (1996) Alniditan in the acute treatment of migraine attacks: a subcutaneous dose-finding study. Cephalalgia 16: 497-502.
Die Arbeit beschreibt eine Dosis-Findungsstudie für den neuen 5HT1D-Agonisten Alniditan in der Akutbehandlung der Migräne-Attacke. Die Arbeit umfaßt 4 Dosisarme (0,8-1,0-1,2-1,4 mg) und einen Placeboarm. Insgesamt wurden multizentrisch 212 Patienten randomisiert. Es wurde pro Patient eine einzige Attacke im Krankenhaus behandelt. Die Arbeit zeigt eine beeindruckende Effektivität von Alniditan, das in den beiden höheren getesteten Dosen innerhalb von 16 bzw. 15 min. eine deutliche Besserung der Kopfschmerzen erreichte. Beeindruckend ist die Zahl für Kopfschmerz-Freiheit (72 % bei 1,4 mg). Nebenwirkungen traten allerdings bei 70 % der Patienten auf, was einerseits deutlich höher war als im Placeboarm, andererseits nicht dosisabhängig war. Alle Neben-wirkungen, mit Ausnahme einer Lethargie, waren gut toleriert. In der untersuchten Patientengruppe waren EKG-Veränderungen nicht beobachtet worden. Die Diskussion der Arbeit muß jedoch als etwas spekulativ betrachtet werden. Es wird ausdrücklich auf die Notwendigkeit weiterer Studien hingewiesen. Es wird dennoch über eine mögliche Überlegenheit von Alniditan gegenüber Sumatriptan spekuliert, obwohl Vergleichsstudien zum Zeitpunkt der Veröffentlichung bereits liefen, hier aber Sumatriptan nicht untersucht ist. Auch ein Vergleich einer Substanz mit schlechter oraler Bioverfügbarkeit mit anderen Serotonin-Agonisten, die oral wirksam sind, erscheint nicht unbedingt angebracht. Es wird angemerkt, daß möglicherweise höhere Dosen zu testen gewesen wären. Möglicherweise waren die Ergebnisse dieser Parallelstudien bei Drucklegung noch nicht bekannt, weswegen auf die vergleichsweise geringe therapeutische Breite von Alniditan nicht eingegangen ist. Insgesamt wird jedoch in einer guten klinischen Studie die Wirksamkeit von Alniditan in subkutaner Form belegt. (GA)