I. Migräne Klinik
1. **** Carolei C, Marini C, De Matteis G (1996) History of migraine and risk of cerebral ischaemia in young adults. Lancet 347: 1503-1506.
Der Artikel untersucht die Bedeutung der Migräne als Risikofaktor für ischämische Ereignisse bei jungen Erwachsenen. Prospektiv wurden in dieser Studie 308 Patienten mit TIAs oder Stroke mit insgesamt 509 Kontrollen verglichen, die im wesentlichen aus ambulanten Patienten und Bediensteten des öffentlichen Nahverkehrs rekrutiert wurden. Während in der TIA/Stroke-Gruppe insgesamt 14,9% eine Migräne in der Krankengeschichte aufwiesen, traf dies nur für 9% der Patienten in der Kontrollgruppe zu. Noch deutlicher wurde das Verhältnis bei der Subgruppenanalyse. Unter den weiblichen Patienten litten 26,8% unter Migräne (Kontroll-Gruppe 15%), während unter den männlichen Patienten nur 4,3% (Kontroll-Gruppe 3,5%) zuvor einen Migräneanfall erlitten hatten. Von den Patienten unter 35 Jahren hatten immerhin 19% eine Migräne, während in der Gruppe über 35 Jahre nur 12.8% über eine Migräne in der Vorgschichte berichtigen, was im Vergleich mit der Kontroll-Gruppe nicht signifikant war. Als weitere Risikofaktoren wurde für die Gruppe der Patienten unter 35 Jahren nur noch Alkohol-Abusus ermittelt. In der Gruppe über 35 Jahren hingegen waren ferner Hypertonie und Hypercholesterinämie signifikante Risikofaktoren. Die Einnahme oraler Kontrazeptiva stellte keinen signifikanten Risikofaktor dar, allerdings wurde hier keine Subgruppenanalyse für Frauen in unterschiedlichen Altersgruppen durchgeführt. Es zeigte sich ferner, daß Migränepatienten, die eine TIA erlitten hatten, überwiegend an einer Migräne ohne Aura litten, während Patienten, bei denen ein kompletter Schlaganfall aufgetreten war, überwiegend an einer Migräne mit Aura litten. Insgesamt bestätigt die Studie die Ergebnisse früherer Untersuchungen, die gezeigt hatten, daß Migräne als Risikofaktor für das Auftreten ischämischer Ereignisse insbesondere bei jüngeren Frauen gelten kann. Überraschend ist, daß hormonelle Antikonzeption in der Studie keine Rolle spielte, obwohl dies mehrfach belegt werden konnte. Hier hätte eine weitere Subgruppenanalyse (jünger/ älter als 35) vielleicht mehr Klarheit gebracht. Klar bleiben jedoch die beiden Hauptaussagen der Studie: Migräne mit und ohne Aura ist ein möglicher Risikofaktor für jüngere Patientinnen (unter 35 Jahre), ein ischämische Ereignis zu erleiden. Im Alter über 35 werden die bekannten vaskulären Risikofaktoren wichtiger. Und ferner: im Falle eines ischämischen Ereignisses sind Patientinnen, die unter einer Migräne mit Aura leiden klinisch schwerer betroffen. (VL)
2. **** Massiou H, Tzourio C, El Amrani M, Bousser MG (1997) Verbal scales in the acute treatment of migraine: semantic categories and clinical relevance. Cephalagia 17: 37-39.
Ziel der Studie war zu erfragen, wie Patienten die Intensität ihres Kopfschmerzes mit der Ein-schränkung im Alltag korrelieren und was für Migränepatienten eine signifikante Schmerzreduktion bedeu-tet. Interessant war, daß 67 % der Befragten in ihrer täglichen Aktivität mittelgradig bis stark eingeschränkt waren, wenn sie einen leichten Kopfschmerz hatten, wobei nach IHS Kriterien ein leichter Kopfschmerz nicht mit einer Beeinträchtigung der täglichen Aktivitäten korrelliert. Somit scheint die Bedeutung, die das Wort “leicht” für den Patienten impliziert nicht mit der Definition der IHS Kriterien übereinzustimmen. Ein weiteres Problem scheint die Unterscheidung von mäßigen zu leichten Kopfschmerzen zumindest im englischsprachigen Raum zu sein.Dennoch scheint eine Schmerz-reduktion von mäßig auf leicht für Patienten keine befriedigende Schmerzreduktion darzustellen, während aber die Reduktion von schwer auf leicht eine deutliche Zufriedenheit bei dem Patienten hervorruft. Die Autoren ziehen aus dieser Studie das Fazit, daß nicht allein der verbleibende Schmerz sondern auch die Reduktion der Gesammtintensität ein wichtiger zu erfragender Parameter bei der Beurteilung von Migränetherapie ist. Somit wird die seit der Ära der Sumatriptanstudien eingeführte Skala mit einer Wirksamkeit in der Schmerzreduktion von mäßig auf leicht in Farge gestellt und die Bedeutung des.Endpunktes schwer auf mäßig unterstrichen. Für alle, die sich mit klinischen Studien beschäftigen, sei es mit dem Design, der Auswertung oder als Prüfarzt ist dies ein lesenswerter Beitrag. Die hier wissenschaftlich untersuchte Frage, was ein Patient von einer Migränemedikation erwartet und was er als wirksam erachtet sollte sicher genauer untersucht werden und bei künftigen Studiendesigns einfließen, weil sonst gegebenenfalls erst nach der Zulassung erkannt wird, daß ein Medikament die Bedürfnisse des Patienten nicht erfüllt. (AG)
3. **** Stewart WF, Staffa J, Lipton RB, Ottmann R (1997). Familial risk of migraine: a population-based study. Ann Neurol 41:166-172
Viele Studien zur familiären Häufung der Migräne haben schwerwiegende methodische Mängel. Die meisten Studien rekrutieren Patienten aus Kopfschmerz-Ambulanzen oder spezialisierten Kopfschmerz-Kliniken, die per se eine Negativauslese mit besonders schwerer oder therapieresistenter Migräne darstellen. Die Arbeits-gruppe von Stewart und Lipton hat einen anderen Zugang zu diesem Problem. Sie führten in den Jahren 1992 und 1993 in großem Umfang Telefoninterviews durch. Die dabei gewählten Telefonnummern waren zufallsgeneriert. Die so erreichten amerikanischen Staatsbürger wurden mit einem strukturierten Interview danach befragt, ob sie unter Kopfschmerzen oder Migräne leiden. Dabei wurden die Kriterien der Internationalen Kopfschmerz-Gesellschaft angelegt. Für die vorliegende Studie wurden 73 Migränepatienten rekrutiert. In allen Fällen wurde die Diagnose nach dem Telefoninterview in der Klinik durch einen ausgewiesenen Kopfschmerz-Experten verifiziert. 72 Kontroll-personen gleichen Alters und Geschlechts ohne Kopfschmerzen dienten als Vergleichsgruppe. Dann wurden 511 Verwandte 1. Grades ebenfalls mit einem strukturierten Interview nach Kopfschmerzen befragt. Familienangehörige von Patienten mit Migräne hatten um ein 50% höheres Risiko, ebenfalls unter einer Migräne zu leiden. Das Risiko war deutlich höher bei den Migränepatienten, die schwere Migräneattacken hatten im Vergleich zu denen mit leichten Migräneattacken. Es bestand kein Unterschied zwischen Migräne mit und ohne Aura. Diese Studie, die methodisch sehr sauber durchgeführt wurde, legt nahe, daß Erbfaktoren etwa 50 Prozent des Auftretens und der Phänomenologie der Migräne erklären. Die anderen 50% müssen durch Persönlichkeits- und Umweltfaktoren erklärt werden. (HCD)
4. **** Russell MB, Olesen J (1996), Migraine associated with head trauma. Eur J Neurol 3:424-428
Die Autoren analysierten Prävalenz und klinische Charakteristika einer Schädel-Hirn-Trauma assoziierten Migräne (SAM). In einem 2. Schritt wurde untersucht, ob die SAM in einem ursächlichen Zusammenhang zu dem SHT steht oder aber die Prävalenz der SAM nicht einfach Ausdruck eines erhöhten Migräne-risikos bei familiärer Vorbelastung ist. Es wurde deshalb auch die familiäre Prävalenz einer Migräne bei den Angehörigen 1. Grades der Patienten mit SAM ermittelt. Mit Hilfe einer Fragebogenaktion und semi-strukturierter telefonischer oder persönlicher Interviews wurden bei 4000 Probanden der Allgemein-bevölkerung mit einem Alter von 40 Jahren Angaben zum Vorliegen und Charakteristik einer Migräne und zu dem möglichen Zusammenhang mit einem SHT erhoben. Bei 29 Befragten ließ sich eine trauma-assoziierte Migräne mit Auftreten innerhalb von 14 Tagen nach dem SHT objektivieren. Dies entspricht einer Lebenszeitprävalenz der SAM von 1,4%. Eine SAM trat bei Frauen mehr als doppelt so häufig auf wie bei Männern (Frau:Mann 2,4:1,0). SAM ohne Aura war 7 x häufiger als SAM mit Aura, wo hingegen in der Allgemeinbevölkerung Migräne ohne Aura nur doppelt so häufig wie Migräne mit Aura auftrat. Das Geschlechtsverhältnis der SAM mit Überwiegen des Frauenanteils entspricht der bekannten Geschlechts-verteilung der nicht trauma-assoziierten Migräne. Die klinischen Charakteristika der trauma-assoziierten Migräne glichen denen der nicht trauma-assoziierten Migräne. Die Inzidenz einer trauma-assoziierten Migräne (d.h. Auftreten der Migräneattacke innerhalb vom 14 Tagen nach dem SHT) lag bei 11,4% einer selektierten Stichprobe von Migränepatienten, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatten. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung hatten die Familienangehörigen (1. Grades) der SAM Patienten kein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Migräne ohne Aura oder Migräne mit Aura. Das Risiko von Familienangehörigen der SAM Patienten ohne Aura an einer Migräne ohne Aura zu erkranken war sogar signifikant niedriger als das der Familienangehörigen von Patienten mit nicht trauma-assoziierter Migräne ohne Aura. Die Autoren folgern hieraus, daß der trauma-assoziierten Migräne ohne Aura eine andere Ätiologie als der nicht trauma-assoziierten Migräne ohne Aura unterliegt. Sie halten es für wahrscheinlich, daß ein Schädel-Hirn-Trauma (auch als Commotio cerebri) eine Migräne ohne Aura bedingen kann. (MK)