DMKG


5. Jahrgang Nummer 3
Kopfschmerz-News

Aktuelle Literatur zur Pathophysiologie und Behandlung von Kopfschmerzen

Oktober 1996 - ISSN 1431-1623


Die Gliederung und Darstellung erfolgt in:

I. Migräne, Klinik

II. Migräne, Pathophysiologie

III. Migräne, Akuttherapie

IV. Migräne, Prophylaxe

V. Spannungskopfschmerz

VI. Cluster-Kopfschmerz

VII. Medikamenten-induzierter Kopfschmerz

VIII.Andere Kopfschmerzen

Impressum


Das Benotungssystem lautet wie folgt:
***** Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet
**** Gute experimentelle oder klinische Studie
*** Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter
** Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln
* Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln


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I. Migräne Klinik

1.*** Nihan TM, Ravishankar K, Sanin LC (1996). Coexistence of migraine and idiopathic intracranial hypertension without papilledema. Neurology 46: 1226-1230

Bei 12 von 85 Patienten der Kopfschmerzkinik Houston, die an einem täglichen Kopfschmerz litten, wurde durch eine Lumbalpunktion ein Pseudotumor cerebri diagnostoziert. Alle Patienten hatten eine unauffällige neurologische Untersuchung (keine Stauungspapille oder Akkomodationsstörungen). Sieben der Patienten waren übergewichtig. Die bildgebende Diagnostik aller Patienten war regelrecht.
Alle Patienten hatten ursprüglich eine Migräne, die sich dann in einen täglich auftretenden Kopfschmerz wandelte. Sie waren zuvor mit gängigen Migräneprophylaktika und Thymoleptika behandelt worden.
Die Patienten mit Pseudotumor cerebri besserten sich deutlich auf die Gabe von Diuretika und Acetazolamid.
Die Autoren diskutierten einen möglichen pathogenetischen Zusammenhang, zumindest jedoch eine Coexistenz von Pseudotumor cerebri und Migräne. Offen in der Studie bleibt, bei welchen Patienten ein analgetikainduzierter Dauerkopfschmerz bestand, der erfahrungsgemäß auf prophylaktische Therapie refraktär ist und interessant wäre, ob eventuell bei einzelnen Patienten eine Einnahme von Medikamenten bestand, die einen erhöhten Hirndruck provozieren.

Dies ist eine wichtige Studie für klinisch tätige Kollegen. In der Gruppe therapierefraktärer Patienten mit Migräne, Analgetika-induziertem Kopfschmerz und Spannungskopfschmerz mit unauffälligem neurologischem Befund und bildgebender Diagnostik befinden sich Patienten mit Pseudotumor cerebri, die einer korrekten Diagnose und Therapie entgehen könnten. Erfreulich wäre, wenn diese Beobachtung an einem größeren Patientenkollektiv untersucht würde. (AG)


2. ***** Russell MB, Rasmussen BK, Fenger K, Olesen J (1996). Migraine without aura and migraine with aura are distinct clinical entities: a study of four hundred and eighty-four male and female migraineurs from the general population. Cephalalgia 16:239-245

Es ist weiterhin außerordentlich umstritten, ob es sich bei der Migräne mit und ohne Aura um zwei Manifestationen aus einem Krankheitskontinuum oder zwei biologisch selbständige Erkrankungen handelt.
Die dänischen Autoren gingen dieser Frage in einer Studie nach, wobei die Patienten zufallsbestimmt aus der Bevölkerung ausgewählt wurden. Die hier referierten Patienten wurden entweder mit Hilfe eines strukturierten Interviews persönlich befragt oder unterzogen sich einer Befragung am Telefon. Von den 484 befragten Patienten mit Migräne litten 342 unter einer Migräne ohne Aura und 163 unter einer Migräne mit Aura. 21 Patienten hatten sowohl Attacken mit wie ohne Aura. Die Lebenszeitprävalenz einer Migräne ohne Aura betrug 14,7%, die der Migräne mit Aura 7,9%. Das Verhältnis von Männern zu Frauen war bei der Migräne ohne Aura 1:2,2, bei der Migräne mit Aura 1:1,5. Der Beginn der Migräne war für die Migräne ohne Aura unimodal verteilt. Der Gipfel des Erkrankungsbeginns lag zwischen dem 15. und 19. Lebensjahr.
Bei der Migräne mit Aura gab es eine zweigipfelige Verteilung, wobei ein Gipfel zwischen 10 und 14 Jahren und der zweiten zwischen 30 und 34 Jahren lag. Berücksichtigt man die spontanen Prävalenzen, ergibt sich daraus zwangslos das gemeinsame Auftreten von Migräne mit und ohne Aura. Dies war bei 3,5% der Männer und bei 4,5% der Frauen der Fall. Vorboten einer drohenden Migräneattacke waren bei beiden Formen der Migräne gleich häufig. Eine erhöhte Photophobie und Licht als Auslöser einer Migräneattacke fand sich bei der Migräne mit Aura und nicht bei der Migräne ohne Aura. Umgekehrt war die Menstruation ein Auslösefaktor nur bei der Migräne ohne Aura.

Die Autoren schließen nach Ansicht des Referenten voreilig, daß es sich bei der Migräne mit und ohne Aura um unterschiedliche Entitäten handelt. Dieser Schluß kann erst dann gezogen werden, wenn die genetischen Muster für die Migräne bekannt sind und hier ein Vergleich zwischen Genetik und klinischer Ausprägung möglich wird. (HCD)


3. **** Unruh AM (1996). Gender variations in clinical pain experience. Pain 65:123-167

In einer großen Übersichtsarbeit werden fast alle Studien zur Epidemiologie von Schmerzsyndromen hinsichtlich ihrer Geschlechtsspezifität aufgeführt und analysiert.
In dieser Übersicht konzentriert sich der Referent auf die Angaben zum Kopfschmerz. Es werden insgesamt 60 Studien referiert, bei denen epidemiologische Daten zum Kopfschmerz für Männer und Frauen getrennt berichtet werden. Frauen haben höhere Prävalenzen für chronischen Spannungskopfschmerz, Migräne, postpunktionellen Kopfschmerz und posttraumatischen Kopfschmerz. Männer haben eine höhere Prävalenz für den episodischen und chronischen Clusterkopfschmerz. Die Migräne ist bei Frauen etwa doppelt so häufig wie bei Männern (10 Studien). Die Prävalenz von Migräne und Kopfschmerzen ist bei Jungen und Mädchen im Schulalter gleich hoch (15 Studien). Bei Frauen, die unter Kopfschmerzen leiden, sind die Kopfschmerzen intensiver, häufiger und dauern länger als bei Männern (12 Studien). Die Prävalenz für Migräne und andere Kopfschmerzen nimmt mit zunehmendem Alter ab. Dies ist für Männer ausgeprägter als für Frauen (4 Studien). Frauen haben mehr Migräneattacken, häufiger Übelkeit und Erbrechen und Parästhesien, währenddessen eine visuelle Aura bei Männern häufiger ist. Etwa 5% aller Frauen leiden unter einer streng menstruationsbezogenen Migräne. Häufig bessert sich die Migräne während der Schwangerschaft.

Jeder, der sich für geschlechtsspezifische Unterschiede bei Kopfschmerzen interessiert, sollte diese Übersichtsarbeit zur Verfügung haben. (HCD)


4. ***** Terwindt GM, Ophoff RA, Haan J, Frants RR, Ferrari MD für die Dutch Migraine Genetic Research Group (1996). Familial hemiplegic migraine: a clinial comparison of families linked and unlinked to chromosome 19. Cephalalgia 16:153-155

Bei der familiären hemiplegischen Migräne handelt es sich um eine seltene Unterform einer Migräne mit Aura mit autosomal dominantem Erbgang. Die Patienten haben neben typischen Aurasymptomen und Migränesymptomen eine Hemiparese unterschiedlichen Ausmaßes, die im Rahmen der Auraphase auftreten kann. Bei einigen Familien besteht eine Beziehung zu einem Genlokus auf dem Chromosom 19.
Die holländische Arbeitsgruppe untersuchte 3 Familien mit 46 Mitgliedern mit familiär-hemiplegischer Migräne mit einem Bezug zum Chromosom 19. Als Vergleich dienten 20 Patienten aus 2 Familien mit familiär-hemiplegischer Migräne ohne Bezug zum Chromosom 19. Es fanden sich zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied bezüglich des Alters bei Beginn, Häufigkeit und Dauer der Attacken, Dauer der Parese und dem Auftreten von typischen Symptomen einer Basilarismigräne. Bei den Patienten, bei denen ein Bezug zum Chromosom 19 bestand, fand sich aber signifikant häufiger eine schwere Bewußtseinsstörung während der Attacke (39% versus 15%) und eine Auslösung der Attacken durch leichte Schädelhirntraumen (70% versus 40%). Bei einer Familie mit Bezug zum Chromosom 19 fand sich eine progrediente Kleinhirnsymptomatik. Bei einer Familie ohne Bezug zum Chromosom 19 fanden sich epileptische Anfälle in der Kindheit.

Diese wichtige Studie zeigt, daß bezüglich der Migräneattacken selbst sich zwischen den Patienten mit einem nachgewiesenen Defekt auf dem Chromosom 19 und den mit einem offenbar anderen genetischen Defekt kein Unterschied. (HCD



II. Migräne Pathophysiologie


5. ** Facco E, Munari M, Baratto F, Behr AU, Dal Pal=F9 A, Cesaro S, Giacomini M, Giron G (1996) Regional cerebral blood flow (rCBF) in migraine during the interictal period: different rCBF patterns in patients with and without aura. Cephalalgia 16: 161-168.

Facco et al. untersuchten den globalen und regionalen cerebralen Blutfluß (rCBF) bei vier verschiedenen Gruppen von Patienten:
1. Migräne ohne Aura (Gruppe M, n=50),
2. Migräne mit Aura (Grupp MA, n=20),
3. Patienten mit episodischem oder chronischen Spannungskopfschmerz (Gruppe TH, n=21) und
4. gesunden Kontrollpersonen (Gruppe C, n=60)
in einer SPECT-Untersuchung (133-Xe Clearance Methode).

Der globale Blutfluß war bei Kontrollpersonen und Patienten mit Spannungskopfschmerz nicht verschieden. Bei Patienten mit Migräne ohne Aura zeigte sich ein höherer globaler Blutfluß als bei Kontrollpersonen (70,5 vs 62,3 ml/100g/min), bei Migräne mit Aura war der globale Blutfluß vermindert (56,6 vs 62,3 ml/100g/min). Die relative Hyperämie der Gruppe M (Migräne ohne Aura) war diffus über alle Hirnregionen verteilt, während bei Patienten mit Aura die relative Oligämie in "posterioren Rgionen" (d.h. parieto-occipital) betont war, entsprechend der Oligämie bei Aura.

Neben diesen kurz und verständlich im Abstract zusammengefaßten Daten enthält diese Publikation keine weiteren relevanten Daten oder Informationen. Die Autoren betonen, daß von einer großen Zahl anderer Autoren widersprüchliche Ergebnisse publiziert wurden und führen diese auf verschiedene Gründe zurück wie: unterschiedliche Zusammensetzung des Patientenkollektivs, der Stichprobengröße, der Methode zur Blutflußmessung sowie der Klassifikation der Kopfschmerzen (die hier nach den IHS-Kriterien vorgenommen wurde). Zur Klärung der Frage, ob es bei Migräne mit und ohne Aura Blutflußveränderungen (global oder regional) gibt, sollte eine sensitivere Methode (z.B. PET, fMRI) eingesetzt werden. (MJ)


6. **** Brändli P, Löffler BM, Osterwalder R, Maire JP, Clozel M (1995). Role of endothelin in mediating neurogenic plasma extravasation in rat dura mater. Pain 64: 315-322

Seit den 60er Jahren weiß man, daß innerhalb des Craniums ausschließlich die großen Blutleiter und die Dura schmerzempindlich sind. Die Entstehung von Kopfschmerzen müßte also in einer der beiden Strukturen stattfinden.
War man anfangs davon ausgegangen, daß eine pure Vasodilatation die (pulsierenden) Kopfschmerzen hervorruft, gilt seit Einführung des Tiermodells der duralen Plasmaextravasation, die sog. neurogene vaskuläre Entzündung als mögliches pathophysiologisches Korrelat der Schmerzentstehung. Der Erfolg des Tiermodells der neurogenen vaskulären Entzündung beruht im Wesentlichen auf der dosisabhängigen Antagonisierbarkeit durch Substanzen, die in der Akuttherapie der Migräne wirken. Hierzu zählen Sumatriptan, Ergotamine und Acetylsalicylsäure. Allerdings hatten bis auf letztere alle im Modell wirksamen Substanzen auch eine vasoconstriktive Wirkung, was ihren klinischen Einsatz limitiert. Gesucht wurde also intensiv nach einer Substanz, die zwar selektiv die neurogene vaskuläre Entzündung hemmt, jedoch nicht gefäßverengend wirkt. Mit dem neuen Endothelinantagonisten Bosentan schien dies gelungen: Im Tiermodell unterdrückt er signifikant die Plasmaextravasation, wirkt aber, wenn überhaupt, vasodilatatorisch.

Für sich genommen ist dies die Veröffentlichung einer vielversprechenden Substanz in der Akuttherapie der Migräne. Aufgrund der langen Zeit zwischen Entdeckung und Veröffentlichung des Wirkmechanismus von Bosentan, hat die Forschung diesen Artikel allerdings bereits überholt. Bosentan wirkt in der Akuttherapie bei Migränepatienten nicht. Dasselbe gilt für mindestens noch eine weitere Substanz. Entweder spielt die vasokonstriktorische und/oder zentrale Wirkung der jetzigen Substanzen eine größere Wirkung als angenommen, oder aber das Modell der neurogenen Entzündung ist auf den Menschen nicht übertragbar. (MAY)


7. *** May A, Weiller C (1996). PET und Dopplersonographie bei Kopfschmerzen. Der Schmerz 10:140-145

In ihrer Übersicht würdigen die Autoren die Ergebnisse transcranieller dopplersonographischer (TCD) Untersuchungen der Blutflußgeschwindigkeit in basalen Hirngefäßen und neuerer Messungen des regionalen cerebralen Blutflusses (rCBF) mittels SPECT und PET bei Patienten mit Migräne.
TCD-Messungen im attackenfreien Intervall ergaben in mehreren Studien höhere mittlere Flußgeschwindigkeiten (MFV) in der A. cerebri media sowie eine höhere cerebrovaskuläre Reaktivität auf CO2, Hyperventilation oder kognitive Aufgaben als bei Kontrollpersonen. Die statistische Relevanz dieser Ergebnisse ist bei teilweise kleinen Fallzahlen allerdings kritisch zu bewerten. Gleiches gilt für Unterschiede der MFV zwischen kopfschmerzfreiem Intervall und akuter Attacke sowie zwischen Kopfschmerz- und kopfschmerzfreier Seite. In der Kopfschmerzphase konnte eine leichte Zunahme der MFV in der A. cerebri media nach parenteraler Gabe von Sumatriptan oder Ergotamintartrat nachgewiesen werden. Nach intraarterieller Injektion von Sumatriptan wurde angiographisch eine kurzdauernde Konstriktion duraler Arterien beobachtet. Bei gleichzeitiger TCD- und SPECT-Untersuchung konnte bei Zunahme der MFV jedoch keine Reduktion der regionalen Hirndurchblutung nachgewiesen werden. Ältere Xenon-Clearance- und SPECT-Untersuchungen ergaben bei Patienten mit Migräne ohne Aura (MOA) im gesamten Attackenverlauf keine Veränderung der rCBF. Bei Patienten mit Migräne mit Aura (MMA) fand sich in der Auraphase eine "spreading oligaemia" in der zur Symptomatik kontralateralen Hemisphäre. Auch PET-Untersuchungen ergaben bei Patienten mit MOA bei schon laufender Attacke zu Beginn der Untersuchung keine Veränderung der rCBF gegenüber dem attackenfreien Intervall.
Diese Ergebnisse, die insgesamt gegen eine Veränderung der Hirndurchblutung bei Patienten mit MOA sprechen, wurden in Frage gestellt durch die bisher einzige PET-Untersuchung einer MOA in statu nascendi. Hierbei kam es zu Beginn der Kopfschmerzphase zu einer kurzdauernden bilateralen Verminderung der rCBF, die sich von occipital langsam nach rostral ausbreitete.

Weitere PET-Untersuchungen bei Patienten mit MOA während der Kopfschmerzphase, bei denen die Ergebnisse von 9 Probanden gemittelt wurden, zeigten eine vermehrte Durchblutung kontralateraler Hirnstammstrukturen, im Gyrus cinguli sowie in den visuellen und auditorischen Assoziationskortices. Die Autoren schreiben diese Aktivierungen den Phänomenen der Photo und Phonopsie, der emotionalen Schmerzverarbeitung sowie dem Nucleus dorsalis raphe und dem Locus coeruleus zu. (MSCH)


8. **** Wang W, Timsit-Berthier M, Schoenen J (1996). Intensity dependence of auditory evoked potentials in pronounced in migraine: an indication of cortical potentiation and low serotonergic neurotransmission? Neurology 46:1404-1409

Viele pathophysiologische Mechanismen der Migräne sind noch ungeklärt.

Nimmt man beispielsweise an, daß die Migräneaura einer spreading depression entspricht, könnte eine solche beim Menschen wahrscheinlich nur ausgelöst werden, wenn eine Übererregbarkeit des Cortex besteht. Dafür gibt es auch im beschwerdefreien Intervall elektrophysiologische Hinweise. So sind die Amplituden der visuell evozierten Potentiale ebenso erhöht wie die kontingente negative Variation (CNV). Die belgische Arbeitsgruppe um Jean Schoenen untersuchte akustisch evozierte Potentiale mit unterschiedlichen akustischen Reizstärken zwischen 40 und 70 dBA in einer randomisierten Abfolge bei 25 Patienten mit einer Migräne ohne Aura, 10 Patienten mit Migräne mit Aura und 25 gesunden Vergleichspersonen. Alle Patienten wurden im beschwerdefreien Intervall untersucht. Wurde die Amplitude der N1-P2-Komponente gegen die Reizstärke aufgetragen, war der Anstieg bei den Migränepatienten deutlich steiler als bei den gesunden Kontrollen. Die absoluten Amplituden selbst waren bei den Migränepatienten nicht vergrößert. In einem zweiten Paradigma wurde die Habituation auf wiederholte akustische Stimuli untersucht. Zu diesem Zweck wurden drei Blöcke 40 randomisierter Antworten analysiert. Gesunde Versuchspersonen zeigen eine Habituation mit Abnahme der Potentialamplitude beim zweiten und dritten Block. Die Migränepatienten zeigten im Gegensatz dazu einen Anstieg der AEP-Amplitude im zweiten und dritten Block.

Diese Studie belegt wie andere Untersuchungen der Autorengruppe, daß bei Patienten mit Migräne offenbar eine corticale Übererregbarkeit mit verminderter Habituation besteht, eine physiologische Voraussetzung für die Auslösung einer spreading depression.(HCD)



III. Migräne Akuttherapie


9. **** H. Henkes, A. May, D. Kühne, E. Berg-Dammer, H.C. Diener (1996). Sumatriptan: vasoactive effect on human dural vessels, demonstrated by subselective angiography. Cephalalgia 16:224-230

Die vorliegende Studie gibt anhand von subselektiven angiographischen Untersuchungen erstmals Auskunft über die Vasoreaktivität duraler Gefäße nach Verabreichung von Sumatriptan.

Dies ist insbesondere von Interesse, weil sich aus vorangehenden dopplersonographischen Studien eher widersprüchliche Ergebnisse bzgl. der Vasokonstriktion cerebraler Gefäße nach Applikation von Sumatriptan ableiten lassen. Mittels valider angiographischer Untersuchungen wurde die bekannte vasokonstriktorische Wirkung des 5-Hydroxytryptamin (5HT1D) Rezeptor Agonisten bisher nur an den Coronararterien nachgewiesen.
Die Arbeitsgruppe aus Essen untersuchte insgesamt 9 Patienten mit negativer Migräne- bzw. Kopfschmerzanamnese. Bei dem V.a. das Vorliegen von arteriovenösen Malformationen bzw. arteriovenöser Durafisteln stellte sich nach morphologischen Kriterien im Rahmen einer selektiven angiographischen Darstellung der A. meningea media (MMA) bei 3 von 9 Patienten die MMA normal dar. Bei 2 Patienten speiste sie eine arteriovenöse Durafistel und bei den restlichen 4 Probanden versorgte sie eine cerebrale arteriovenöse Malformation. Dabei zeigten sich neben pathologischen Gefäßmustern der MMA bei diesen Patienten auch Gefäßabschnitte mit normaler Morphologie.
Nach Durchführung der diagnostischen Angiographie und nach Ausschluß einer relevanten spontanen oder iatrogen induzierten Vasomotion wurde bei 7 von 9 Pat. über den liegenden Katheter ein Bolus von 2mg Sumatriptan appliziert und die restlichen 2 Pat. erhielten 6mg Sumatriptan s.c. Bei 7 von 9 Pat. (darunter insbesondere alle 3 Pat. mit normaler Gefäßmorphologie) ließ sich in der 5-15 Minuten später durchgeführten Kontrollangiographie eine relevante Vasokonstriktion der normalen sowie der pathologischen Gefäßabschnitte der MMA nachweisen. Dieses war unabhängig von der Applikationsweise der Substanz (i.a. vs. s.c.). Die Ergebnisse korrelieren mit der zusätzlich durchgeführten intravaskulären Ultradopplersonographie. Die fehlende Vasokonstriktion bei 2 weiteren Pat. könnte durch das hohe Shuntvolumen der AV-Malfomationen und das dadurch bedingten schnelle Abfluten der Substanz erklärt werden.

Mit Ausnahme eines Einzelfallberichtes konnte somit erstmals angiographisch sowie mit ultrasonographischen Mitteln eine Sumatriptaninduzierte Vasokonstriktion duraler Gefäße beim Menschen nachgewiesen werden. Zu beachten ist, daß dies nicht für Migräne-Pat. nachgewiesen wurde.
Weiterhin erlaubt die Studie keine Aussagen darüber, ob sich piale Gefäße synergistisch verhalten, welches jedoch anzunehmen ist. Ob, und in wie weit der hier nachgewiesene vasokonstriktorische Effekt des 5-HT1D-Rezeptor-Agonisten für die Schmerzlinderung in der Migräneattacke verantwortlich ist bleibt offen. (WIE)


10. **** Thomsen LL, Dixon R, Lassen LH, Gibbens M, Langemark M, Bendtsen L, Daugaard D, Olesen J (1996). 311C90 (Zolmitriptan), a novel centrally and peripheral acting oral 5-hydroxytryptamine-1D agonist: a comparison of its absorption during a migraine attack and in a migraine-free period. Cephalalgia 16:270-275

311C90 ist ein neuer selektiver 5-HT-1D-Agonist, der zur Behandlung der Migräne entwickelt wurde.
Im Gegensatz zu Sumatriptan überwindet 311C90 die Bluthirnschranke und hat zentrale Bindungsstellen im Hirnstamm, beispielsweise im Nucleus caudalis des Trigeminuskerns bei der Katze und bei der Ratte. Die Substanz wird besser und schneller resorbiert als Sumatriptan. Daher werden geringere Dosen als bei Sumatriptan benötigt. In der vorliegenden Studie aus Dänemark wurde untersucht, ob sich die Absorption unterscheidet, wenn das Medikament während einer Migräneattacke oder im beschwerdefreien Intervall eingenommen wird. In die Studie wurden 20 Patienten aufgenommen. Sie kamen in das Krankenhaus, wenn sie eine mittelschwere bis schwere Migräneattacke hatten und wurden mit 10 mg oralem 311C90 behandelt. 18 Patienten unterzogen sich einer zweiten Untersuchung im kopfschmerzfreien Intervall. Die Absorption von 311C90 war während der Kopfschmerzattacke gegenüber dem kopfschmerzfreien Intervall deutlich verzögert. Der Unterschied betrug beinahe 50%. Auch der Zeitpunkt, zu dem die maximale Plasmakonzentration erreicht wurde, war während der Migräneattacke deutlich verzögert. 11 der 20 Patienten gaben eine signifikante Verbesserung der Kopfschmerzen nach 2 Stunden an. Patienten, die auf das Medikament ansprachen, hatten höhere Plasmaspiegel als solche, bei denen keine signifikante Besserung der Kopfschmerzen eintrat. 311C90 führt zu geringen, in ihrer Charakteristik ähnlichen Nebenwirkungen wie Sumatriptan wie Mißempfindungen, Druckgefühl im Bereich des Kopfes, des Halses oder der Brust, Mundtrockenheit, Schweregefühl im Bereich der Extremitäten und Müdigkeit. Im Gegensatz zur Wirksamkeit waren die Nebenwirkungen aber nicht korreliert mit den Plasmaspiegeln der Substanz.

Diese Studie legt nahe, daß es später bei der klinischen Anwendung von 311C90 es eventuell sinnvoll sein könnte, die Substanz mit einem Antiemetikum zu kombinieren, das die Gastroparese bekämpft und die Absorption beschleunigt. (HCD)


11. ***** Visser WH, Jaspers MNWH, de Vriend RHM, Ferrari MD (1996). Risk factors for headache recurrence after sumatriptan: a study in 366 migraine patients. Cephalalgia 16:264-269

Erst bei den großen Studien zum Einsatz von Sumatriptan wurde ein Phänomen entdeckt, was zuvor offensichtlich schon bestanden hatte, aber den meisten Kopfschmerzklinikern entgangen war, das sog. Wiederauftreten von Kopfschmerzen (headache recurrence, nach neuer Nomenklatur: Secondary treatment failure).

Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das bei etwa 40% aller Patienten, die ihre Attacken zunächst erfolgreich mit Sumatriptan unterbrechen können, nach einer mittleren Dauer von 8-12 Stunden die Kopfschmerzen wiederauftreten.
Die Arbeitsgruppe um Ferrari in Holland bat 366 Migränepatienten, die seit längerer Zeit Sumatriptan verwendeten, um genaue Angaben über Wirksamkeit und eventuelles Wiederauftreten der Kopfschmerzen. Die Patienten wurde alle gebeten, einen ausführlichen Fragebogen auszufüllen. Die Patienten wurden in drei Gruppen eingeteilt. In der Gruppe 1 kam es nie zu einem Wiederauftreten der Kopfschmerzen, in der Gruppe 2 traten die Kopfschmerzen regelmäßig wieder auf, und in der Gruppe 3 traten Kopfschmerzen bei etwa der Hälfte der Patienten wieder auf. Die Patienten verteilten sich wie folgt auf die drei Gruppen: Gruppe 1: 28% subcutane, 26% orale Applikation; Gruppe 2: 24% subcutane Gabe, 22% orale Einnahme und Gruppe 3: 13% subcutan und 16% oral. Patienten, bei denen die Kopfschmerzen wieder auftraten, unterschieden sich in den folgenden Parametern von denen, bei denen Kopfschmerzen nicht wieder auftraten: weibliches Geschlecht, menstruelle Migräne, schwere Migräneattacken mit ausgeprägten vegetativen Begleiterscheinungen und langen spontanen Migräneattacken. In absoluten Werten bedeutet dies beispielsweise eine durchschnittliche Dauer der spontanen Migräneattacke von 64 Stunden bei den Patienten mit Wiederauftreten von Kopfschmerzen gegenüber 41 Stunden bei Patienten ohne. Patienten, bei denen die Kopfschmerzen wieder auftraten, benötigten mehr Dosierungen von Sumatriptan pro Attacke und pro Monat und hatten häufiger das Gefühl, daß die Attacke trotz der guten Wirkung von Sumatriptan unterschwellig weiterging. Für alle anderen erhobenen Parameter ergaben sich keine Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Dies galt u. a. für die Wirkung von Sumatriptan, der Zeitpunkt, wann es angewandt wurde, die Dauer, wie lang schon Erfahrung mit Sumatriptan bestand, und frühere Erfahrungen mit Ergotamin.

Diese Studie belegt zum ersten Mal wissenschaftlich ein Phänomen, das viele Kliniker bereits beobachtet hatten, nämlich daß Patienten mit sehr schweren und besonders lang dauernden Migräneattacken und Frauen mit menstrueller Migräne besonders zum Wiederauftreten von Kopfschmerzen nach der erfolgreichen Therapie mit Sumatriptan neigen. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß auch andere neue Migränemittel mit längerer Halbwertszeit und besserer Pharmakodynamik genauso häufig zum Wiederauftreten von Kopfschmerzen führen. (HCD).


12. *** Göbel H, Stolze, H, Heinze A, Dworschak M, Heuss D, Christiani K, Lindner V (1996). Achtzehnmonatige Langzeitanalyse der Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit von Sumatriptan s.c. in der Akuttherapie von Migräneanfällen. Nervenarzt 67:471-483

Placebokontrollierte doppelblinde Studien sind außerordentlich wichtig, um die Wirksamkeit einer neuen Substanz zur Behandlung der Migräne zu belegen. Nach Abschluß dieses Stadiums ist es wichtig, in Langzeitstudien festzustellen, ob die untersuchte Substanz ihre Wirksamkeit über die Zeit behält, wie häufig schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten, wie häufig Patienten wegen Nebenwirkungen die Behandlung abbrechen und ob es zur Entwicklung eines medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes kommt.

In einer in Deutschland durchgeführten multizentrischen Studie wurden 2263 Patienten aufgenommen. 66% litten unter einer Migräne ohne Aura, 25% unter einer Migräne mit Aura und der Rest unter einer Kombination mit und ohne Aura. Die Patienten konnten über einen Zeitraum von 18 Monaten selbständig zuhause Migräneattacken mit 6 mg Sumatriptan subcutan behandeln. Die Erfolge der Behandlung wurden mit einem Kopfschmerz-Tagebuch validiert. Im Zeitraum der Studie zwischen Oktober 1991 und Juli 1993 wurden insgesamt 43.691 Attackenbehandlungen ausgewertet. Von den behandelten Attacken wiesen 50,3% eine mittelschwere und 49,7% eine schwere Intensität auf. Eine Stunde nach der Injektion war bei 46,3% der Attacken die Migräne vollständig abgeklungen, bei 33,2% bestand noch ein leichter Kopfschmerz. Zwei Stunden nach der Injektion bestand bei 67% der behandelnden Attacken Kopfschmerzfreiheit und bei weiteren 18% eine Besserung bis auf leichte Kopfschmerzen.
Bei 22,7% der Migräneattacken kam es zu einem Wiederauftreten der Kopfschmerzen, der durch eine zweite Gabe von 6 mg Sumatriptan subcutan behandelt werden konnte. Der Therapieerfolg nach einer Stunde betrug hier 85,9%. Über einen Zeitraum von 18 Monaten nahm die Wirksamkeit von Sumatriptan nicht ab. Auch die Zahl der Attacken nahm im Laufe der 18 Monate nicht zu. 44,5% der Patienten berichteten über Nebenwirkungen. Diese waren in abnehmender Häufigkeit Übelkeit (9%), Störungen des Allgemeinbefindens (7%), Reaktionen an der Injektionsstelle (6%), Kribbeln (6%), Schwindel (5%), Kopfschmerz und Schmerz (4%), Beklemmungsgefühl (3%) und Wärmeempfindung (3%). Selten wurden genannt Parästhesien, Müdigkeit, Kopfdruck, Schwäche, Gliederschwere, Schwitzen und Tachykardie. Hier muß allerdings berücksichtigt werden, daß es sich bei einem Teil der genannten Nebenwirkungen um die spontane Ausprägung der Migräne handelt (z. B. Übelkeit).

Diese Studie zeigt eine relativ konsistente Wirkung von Sumatriptan subcutan über die Zeit. Allerdings war der Zeitraum von 18 Monaten zu kurz, um einen medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz durch Sumatriptan beobachten zu können. (HCD)


13. ***** Cutler NR, Claghorn J, Sramek J, Block G, Panebianco D, Cheng H, Olah TV, Reines SA (1996). Pilot study of MK-462 in migraine. Cephalalagia 16:113-116

MK-462 ist ein potenter selektiver 5-HT1D-Rezeptoragonist, der von der Firma Merck, Sharp & Dohme entwickelt wurde.

Im Vergleich zu Sumatriptan ist bei oraler Gabe die Bioverfügbarkeit dreimal höher. Die vorliegende Studie ist die erste Pilotstudie an Patienten mit Migräne, die aus Sicherheitsgründen im Krankenhaus behandelt wurden. Die Studie wurde doppelblind, Placebokontrolliert durchgeführt. 8 Migränepatienten wurden mit 20 mg und 36 mit 40 mg MK-462 behandelt. Die übrigen 21 Patienten erhielten Placebo. Das Alter der Patienten lag zwischen 22 und 51 Jahren. Die Kopfschmerzintensität wurde nach 30 min, 1 Stunde, 1 1/2 Stunden und 2 Stunden gemessen. Bei 20 mg MK-462 berichtete 4 von 8 Patienten über eine signifikante Besserung der Kopfschmerzen nach 2 Stunden. Bei der 40 mg-Dosis berichtete 75% der behandelten Patienten nach 2 Stunden über eine gute Wirkung verglichen mit 33% bei Placebo. 50% der Patienten mit 20 mg MK-462, 72% mit 40 mg MK-462 und 52% unter Placebo berichteten über Nebenwirkungen. Die häufigsten waren Müdigkeit (20 mg - 12%; 40 mg - 44%, Placebo 24%), Mundtrockenheit (40 mg - 36%, Placebo 19%) und unsystematischer Schwindel (40 mg - 17%, Placebo 10%).

Auf Grundlage dieser Ergebnisse werden und wurden größere prospektive Placebo-kontrollierte Studien und Vergleichsstudien zu Sumatriptan begonnen. (HCD)



IV. Migräne Prophylaxe


14. **** V. Pfaffenrath, A. Goes(1996) Die medikamentöse Therapie der menstruellen Migräne. Der Schmerz 10: 146-148

Obwohl die Prävalenz der menstruellen Migräne auf 8 bis 70% geschätzt wird, gibt es nur wenige Literaturdaten bezüglich Pathophysiologie, Klinik und Behandlung der menstruellen Migräne. Aus diesem Grund ist es begrüßenswert, wenn sich die Autoren mit dieser Problematik beschäftigen. Allerdings liegt ihr keine wissenschaftliche Studie zugrunde, sondern ihre Therapieempfehlungen gründen auf langjähriger praktischer Erfahrung im Umgang mit Migränepatientinnen.

Bei einer Attackendauer bis zu 3 Tagen empfehlen die Autoren die Gabe von Acetylsalicylsäure, Ergotamintartrat oder Naproxen, nachdem ein Antiemetikum wie Domperidon oder Metoclopramid vorweg gegeben wurde. Bei fehlendem Effekt sei der Einsatz von Sumatriptan oral in einer Dosierung von 25 bis 100 mg angebracht. Eine Gesamtdosis von 300 mg Sumatriptan sollte nicht überschritten werden. Bei Attacken, die länger als 3 Tage andauern, wird eine Kurzzeitprophylaxe mit dem Antirheumatikum Naproxen in einer Dosierung von 2 mal 500 mg p.o., beginnend 2 Tage vor dem erwarteten Kopfschmerz bis zum Ende der Menstruationsblutung empfohlen. Als Alternative kommen Östrogene in Form eines Östrogenpflasters (Estraderm TTS) perkutan zur Anwendung. Ovulationshemmer und die klassischen Migräneprophylaktika beeinflussen die menstruelle Migräne nicht. Vor einer kontinuierlichen Gabe von Ergotamin über die Menstruation hinaus wird wegen der Gefahr eines Ergotaminkopfschmerzes gewarnt.

Auf das regelmäßige Führen eines Kopfschmerz kalenders wird hingewiesen. Es wird festgestellt, daß im Augenblick die medikamentösen Erfolge bei der menstruellen Migräne noch gering seien.(HDL)


15. *** Peikert A, Wilimzig C, Köhne-Volland R (1996). Prophylaxis of migraine with oral magnesium: results from a prospective, multicenter, placebocontrolled and doubleblind randomized study. Cephalalgia 16:257-263

Eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Studien fand veränderte Magnesiumspiegel im Blut und im Gehirn von Migränepatienten.

Am überzeugendsten sind Untersuchungen aus der Arbeitsgruppe von Welch, die mit Hilfe der Phosphor-Magnet-Resonanz-Spektroskopie eine Reduktion von Magnesium bei Migränepatienten vorwiegend im occipitalen Cortex fanden. Magnesium hat darüber hinaus eine Vielzahl pharmakologischer Eigenschaften, die eine mögliche Wirkung in der Prophylaxe der Migräne nahelegen kann. In die vorliegende multizentrische prospektive Placebokontrollierte Studie wurden 81 Patienten eingeschlossen. Nach einer Voruntersuchungsphase von 4 Wochen erhielten sie entweder in oraler Form 600 mg Magnesium oder Placebo. Die Behandlungsdauer betrug 12 Wochen. Verglichen wurde die Baseline-Phase mit den letzten 4 Wochen der aktiven Behandlung. Die Reduktion der Attackenfrequenz betrug 41,6% in der Gruppe mit Magnesium und 15,8% in der Placebo-Gruppe. Die Zahl der Tage mit Migräne innerhalb von 4 Wochen nahm um durchschnittlich 2,5 Tage ab unter Magnesium und um 1,16 Tage unter Placebo. Der Unterschied war signifikant. Nicht signifikant war die Reduktion der Dauer der Attacken und der Schwere der Attacken. Typische Nebenwirkungen der Magnesium-Applikation waren Durchfall (18,6%) und Magenbeschwerden (4,7%).

Die Studie krankt allerdings an zwei wesentlichen Dingen. Zum einen ist eine Patientenzahl von 81 sicher zu gering, um eine endgültige Aussage über die Wirkung einer Migräneprophylaxe mit Magnesium zu machen. Zum zweiten führt Magnesium nicht nur zu Durchfall sondern auch zu einem eher breiigen bis dünnflüssigen Stuhl. Auf diese Weise ist die Aufrechterhaltung der Verblindung sehr schwer und nicht ausgeschlossen, daß die Patienten anhand dieser Nebenwirkung feststellen konnten, ob sie zur Verum- oder zur Placebo-Gruppe gehören. Für diese Vermutung könnte sprechen, daß der Placebo-Effekt mit 16% geringer ist als in den meisten anderen Studien, wo er etwa 30% beträgt. Daher müssen noch weitere prospektive doppelblinde Studien durchgeführt werden, um die Wirksamkeit von Magnesium in der Migräneprophylaxe zu belegen. Migränepatienten, die allerdings keine Beta-Blocker oder Flunarizin benutzen wollen und unter Verstopfung leiden, kann schon jetzt eine probeweise Behandlung mit Magnesium empfohlen werden. Dabei muß allerdings die in dieser Studie verwendete relativ hohe Tagesdosis eingesetzt werden. (HCD)



V. Spannungskopfschmerz


16. *** Hammill JA, Cook TM, Rosecrance JC (1996). Effectiveness of a physical therapy regimen in the treatment of tensiontype headache. Headache 36:149-153

Ein erfolgreiches, physikalisches Behandlungskonzept angewandt bei 20 Patienten mit chronischem Kopfschmerz vom Spannungstyp wird in diesem Artikel dargestellt.
Die Teilnehmer erhielten innerhalb von 6 Behandlungssitzungen Informationen über eine ergonomisch günstige Körperhaltung, Massagen, passive Dehnübungen und ein Übungsprogramm, das vorwiegend aus isotonischen Übungen bestand. Diese Übungen, die täglich zu Hause durchgeführt werden mußten, zielten auf eine Stärkung der Hals- und Nackenmuskulatur ab. Weiterhin mußte während der insgesammt sechswöchigen Behandlungszeit die Halsmuskulatur zweimal täglich durch Eis gekühlt werden.
Zur Erfolgsbeurteilung wurde der Median der wöchentlichen Kopfschmerzdauer, -frequenz und -intensität mittels einer visuellen Analogskala und zusätzlich durch eine subjektive, verbale Einschätzung dieser Parameter zu 3 Meßzeitpunkten bestimmt (vor der Behandlung, direkt nach dem Behandlungsende und 12 Monate nach der Behandlung). Ein Fragebogen zur Erhebung des Aktivationsniveaus ergänzte das Instrumentarium.

Als wichtigste Ergebnisse sollen hier eine katamnestisch stabile, verminderte Kopfschmerzfrequenz und eine statistisch abgesicherte, über 12 Monate andauernde Verbesserung des Aktivationsniveaus Erwähnung finden. Trotz einiger Schwächen - ungenügende Kontrolle der Medikamneteneinnahme, kleine Stichproben - zeigt die Arbeit doch den Beitrag auf, den die Anwendung physikalischer Maßnahmen zur Behandlung des chronischen Spannungskopfschmerzes leisten kann. (REI)


17. ***** Bendtsen L, Jensen R, Brennum J, Arendt-Nielsen L, Olesen J (1996). Exteroceptive suppression of temporal muscle activity is normal in chronic tensiontype headache and not related to actual headache state. Cephalalgia 16:251-256

Bei der extrozeptiven Suppression des M. temporalis handelt es sich um einen Schutzreflex der Kaumuskulatur.
Die neurophysiologische Untersuchung erfolgt in der Regel dadurch, daß bei maximaler Kontraktion der Kaumuskulatur ein elektrischer Reiz an der Lippe gegeben wird. Dies führt dann zu zwei Hemmungsphasen der EMG-Aktivität, genannt ES1 und ES2.
Frühere Studien hatten verlängerte Dauern der ES2-Periode bei Patienten mit chronischen Spannungskopfschmerzen gefunden, die sie als Beleg für eine veränderte Schmerzleitung im Hirnstamm angesehen hatten. In die große dänische Studien wurden 55 Patienten mit chronischem Spannungskopfschmerz und 55 gesunde Kontrollpersonen aufgenommen. Für die vorliegende Studie wurde die Auslösung der ES2 sorgfältig standardisiert. Die Stimulation an der Lippe erfolgte mit 20 mA und 0,5 msec. Ausgangspunkt war eine maximale willkürliche Kontraktion der Kaumuskulatur. Es erfolgten 16 einzelne Stimuli im Abstand von 15 sec. Die einzelnen Durchgänge wurde gemittelt. Als Beginn und Ende der ES2-Hemmungsphase wurde definiert der Zeitpunkt, zu dem die gemittelte und gleichgerichtete EMG-Aktivität geringer als 50% der Aktivität war, wie sie vor dem Stimulus bestand. Die Patienten wurden zweimal untersucht, einmal an einem Tag mit und einmal an einem Tag ohne Kopfschmerzen. Bei 20 Patienten wurde die Messung insgesamt dreimal durchgeführt, wobei die Messungen jeweils 1 Woche auseinander lagen. Die Auswertung der Meßkurven erfolgte geblindet, d. h. der Auswerter wußte nicht, ob es sich um einen Patienten mit Spannungskopfschmerz oder um eine Kontrollperson handelt. Die Dauer der ES2 betrug 32,8 msec bei den Patienten, 34,6 msec bei den Kontrollen. Der Unterschied war nicht signifikant. Die Dauer von ES2 war dieselbe, wenn die Patienten an Tagen mit Kopfschmerzen und an Tagen ohne Kopfschmerzen untersucht wurden. Es bestand keine Korrelation zwischen der Dauer von ES2 und der Häufigkeit der Kopfschmerzen, der Intensität der Kopfschmerzen, dem Alter und dem Ausmaß von Muskelverspannungen der pericraniellen Muskulatur.

Es ist schwierig, die hier gefundenen Ergebnisse mit den total widersprüchlichen Ergebnissen aus der Literatur in Einklang zu bringen. Die Autoren dieser Studie versuchten, durch eine strikt kontrollierte Stimulation mit relativ hoher Stimulationsintensität zu verhindern, in der Nähe einer möglichen Schwelle zu stimulieren. Weiterhin konnten sie zeigen, daß die Erwartungsangst von Kontrollpersonen und Patienten am 1. Tag der Untersuchung zu einer Verringerung der ES2 führte, während bei Kontrollmessungen 1 Woche später kein Unterschied bestand. Ein weiterer wesentlicher Parameter mag sein, daß die Auswertungen hier blind, d. h. ohne Kenntnis der Zuordnung zu Patient und Normalperson erfolgte.
Damit scheint sich abzuzeichnen, daß die ES2 leider nicht - wie vermutet - als biologisches Korrelat einer veränderten Schmerzschwelle beim chronischen Spannungskopfschmerz verwendet werden kann. (HCD)


18. **** Dahlöf CGH, Jacobs LD (1996). Ketoprofen, paracetamol and placebo in the treatment of episodic tensiontype headache. Cephalalgia 16:117-123

Obwohl der episodische Spannungskopfschmerz der häufigste Kopfschmerz überhaupt ist, gibt es nur ganz wenige prospektive doppelblinde Studien zur Therapie.
Ketoprofen ist ein relativ neu entwickeltes nicht-steroidales Antirheumatikum mit guter Potenz sowohl in der Rheumatologie wie bei der Behandlung von Zahnschmerzen, postoperativen Schmerzen und Tumorschmerzen. In die vorliegende Studie wurden 40 Patienten mit episodischem Spannungskopfschmerz aufgenommen, 30 beendeten die Studie protokollgemäß. Jeder der Patienten behandelte 5 Episoden eines Spannungskopfschmerzes. Die Behandlung erfolgte entweder mit 25 oder 50 mg Ketoprofen, 500 oder 1000 mg Paracetamol oder Placebo. Die Wirkung wurde mit einem Kopfschmerz-Tagebuch festgehalten.

Nur eine Behandlung mit 50 mg Ketoprofen führte zu einer signifikanten Besserung der Kopfschmerzen im Vergleich zu Placebo. Paracetamol war Placebo nicht überlegen. Die Wirkung war erstmals nach 1 Stunde signifikant unterschiedlich. Nebenwirkungen waren außerordentlich selten und in keinem Falle schwerwiegend. Diese Studie belegt die Wirksamkeit von 50 mg Ketoprofen. In Übereinstimmung mit der klinischen Erfahrung ist Paracetamol deutlich weniger wirksam. (HCD)



VI. Clusterkopfschmerz


19. **** Seibel P, Grünewald T, Gendolla A, Diener HC, Reichmann H (1996). Investigation on the mitochondrial transfer RNA LEU(UUR) in blood cells from patients with cluster headache. J Neurol 243: 305-307

Genetische Untersuchungen von Kopfschmerzkrankungen gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Neben epidemiologischen Studien und molekularbiologischen Analysen des nukleären Genoms stehen dabei auch Untersuchungen des mitochondrialen Genoms im Mittelpunkt des Interesses, zumal für eine Reihe sehr verschiedener neurologischer Erkrankungen Assoziationen mit Mutationen des mitochondrialen Genoms nachgewiesen werden konnten. Jüngst wurde über eine Punktmutation in der mitochondrialen Thrombozyten-tRNA eines Patienten mit Cluster-Kopfschmerz berichtet. In der vorliegenden Studie untersuchten die Autoren 22 Patienten mit Cluster-Kopfschmerz (wobei nicht angegeben ist, ob es sich um die episodische oder chronische Verlaufsform handelt) und fanden keine der bekannten z.B. mit MELAS assoziierten Mutationen des mitochondrialen Genoms.

Der besondere Wert der Arbeit liegt darin, daß mit einer speziellen Methode auch Punktmutationen in seltener Fequenz, die der herkömmlichen Diagnostik entgehen können, und Längenvariabilitäten der DNA ausgeschlossen werden konnten. Obwohl formal eine erhöhte Punktmutationsrate im zerebralen oder zerebrovaskulären Gewebe nicht ausgeschlossen werden kann, ist ein kausaler Zusammenhang des Cluster-Kopfschmerzes mit Veränderungen des mitochondrialen Genoms nach den Ergebnissen dieser Studie sehr unwahrscheinlich.(SE)



VII. Medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz


20 * Queiroz LP, W RE, Rapoport AM, Sheftell FD, Baskin SM, Siegel SE (1996). Early and transient side effects of repetitive intravenous dihydroergotamine. Headache 36:291-294

In den Vereinigten Staaten wird in großem Umfang intravenöses Dihydroergotamin zur Behandlung medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerzen oder anderer Dauerkopfschmerzen eingesetzt. Dies ist schwer zu verstehen insbesondere bei Patienten, bei denen die Dauerkopfschmerzen bereits durch Mutterkornalkaloide ausgelöst wurden.

Die vorliegende Studie beschäftigt sich allerdings weniger mit dem Erfolg dieser zweifelhaften Therapiemaßnahme als mit den Nebenwirkungen, die mit der Gabe von Dihydroergotamin verbunden sind. In die Studie wurden 72 Patienten aufgenommen, bei den ein chronischer täglicher Kopfschmerz bestand. Bei 38 Patienten bestand ein Analgetika- oder Ergotamina-busus. Bei den übrigen Patienten lagen chronische Spannungskopfschmerzen oder posttraumatische Kopfschmerzen vor. Im Laufe der Studie erhielten alle Patienten 11 Dosen intravenöses Dihydroergotamin über 5 Tage. Die erste Injektion enthielt 0,25 mg. Bei den weiteren Injektionen wurde je nach Verträglichkeit und Wirkung die Dosis um jeweils 0,25 mg gesteigert bis zu einer Maximaldosis von 1,25 mg. Die applizierten Dosierungen erhielten in Prozent: 18,7% = 0,25 mg; 44,2% = 0,5 mg; 23% = 0,75 mg; 13% = 1 mg und 1% = 1,25 mg. Alle Patienten wurden mit einem Antiemetikum beispielsweise Promethazin vorbehandelt. 91,6 % aller Patienten klagten über Nebenwirkungen nach der Gabe von DHE. Die meisten Patienten beklagten zwischen 2 und 5 verschiedene Nebenwirkungen. Die häufigsten Nebenwirkungen in abnehmender Reihenfolge waren Übelkeit (72%), Verstärkung des Kopfschmerzes (47%), Leeregefühl im Kopf (33%), "neue" Kopfschmerzen (27%), Muskelkrämpfe in den Beinen (23%), Erbrechen (16%), Gesichtsrötung (14%), Engegefühl im Bereich des Kopfes (14%), abdominelle Schmerzen (13%), Durchfall (11%), Schmerzen im Bereich des Brustkorbs (8%), Engegefühl im Bereich des Halses (7%) und Engegefühl im Bereich des Nackens (7%).
Es war interessant zu beobachten, daß mit wiederholten Gaben von Dihydroergotamin die Häufigkeit und Ausprägung der Nebenwirkungen deutlich abnahm, obwohl im Laufe der Zeit die Dosis relativ gesteigert wurde. Bezüglich der Nebenwirkungen zeigt diese Studie, daß es bei Dihydroergotamin offenbar ähnliche Erfahrungen gibt wie bei Sumatriptan. So werden auch bei Dihydroergotamin Engegefühl im Bereich der Brust, des Halses und des Nackens beschrieben in etwa der gleichen Häufigkeit wie bei Sumatriptan. Ähnlich wie bei Sumatriptan nehmen Ausprägung und Häufigkeit der Nebenwirkungen mit wiederholter Applikation ab.

Die Studie krankt allerdings daran, daß es außerordentlich schwierig ist, die beschriebenen Nebenwirkungen von Entzugssymptomen während des Medikamentenentzugs zu trennen. (HCD)


21. * Bonuccelli U, Nuti A, Lucetti C, Pavese N, Dell'Agnello G, Muratorio A (1996). Amitriptyline and dexamethasone combined treatment in druginduced headache. Cephalalgia 16:197-200

Es gibt fast genauso viele Vorschläge zur Behandlung des medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes wie publizierte Studien.
Die italienische Studie umfaßte 20 Patienten mit medikamenteninduziertem Dauerkopfschmerz. Sie wurden ambulant von ihren Schmerz- oder Migränemitteln entzogen. Die Behandlung während der Entzugsphase erfolgte mit 4 mg Dexamethason i.m. für 2 Wochen, Amitriptylin 50 mg zur Nacht für 6 Monate und subcutanem Sumatriptan, um den akuten Entzugskopfschmerz zu behandeln. 2 Patienten wurden rückfällig. 13 der übrigen 18 Patienten zeigten eine signifikante Besserung der Kopfschmerzen.

Diese Studie ist aus vielen Gründen zu kritisieren: 1. Es ist durch nichts gerechtfertigt, Dexamethason über 2 Wochen intramuskulär zu verabreichen, die Substanz kann genauso gut oral gegeben werden. 2. Es macht aus physiologischer und psychologischer Sicht keinen Sinn, einen Entzugskopfschmerz durch eine Substanz wie Sumatriptan zu behandeln, die ihrerseits zu medikamen-teninduzierten Dauerkopfschmerzen führen kann. 3. Die Erfolgsquote der hier berichteten Studie ist genauso hoch wie von anderen Untersuchungen, bei denen keine Überbrückungsmedikation gegeben wurde. Das Problem der Behandlung des medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzes kann nur durch gute prospektive Studien gelöst werden, in denen verschiedene Behandlungsansätze verglichen werden. (HCD)



VIII. Andere Kopfschmerzen


22. * Hsieh J-C, Stahle-Bäckdahl M, Hägermark Ö, Stone-Elander S, Rosenquist G, Ingvar M (1995) Traumatic nociceptive pain activates the hypothalamus and the periaqueductal gray: a positron emission tomography study. Pain 64: 303-314.

Hsieh et al. untersuchten die Reaktionen von Normalpersonen auf schmerzhafte Reize (Applikation von Ethanol intrakutan am rechten Oberarm) mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie.

Als Kontrollbedingung wurde die Applikation von physiologischer Kochsalzlösung gewählt. Neben einer Vielzahl physiologischer Parameter (Schmerzskalen, Herzfrequenzanalyse u.a.) wurde der regionale cerebrale Blutfluß (rCBF) gemessen. Die beim Vergleich der beiden Bedingungen (Schmerzwahrnehmung versus Kochsalzinjektion) zu beobachtenden Veränderungen des rCBF in den verschiedenen Hirnarealen werden unter der Berücksichtigung aktueller Literatur spezifischen Funktionen zugeordnet. So soll beispielsweise die Aktivierung im Gyrus cinguli die Bearbeitung der affektiven Schmerzkomponente wiederspiegeln.

Diese Studie weist einen wesentlichen methodischen Mangel auf: der Schmerz nach Applikation von Ethanol war offensichtlich so stark, daß die Probanden verschiedene motorische Reaktionen zeigten (Grimassieren, Zähne-Aufeinanderbeißen, bei einem Probanden sogar Vokalisation). Somit sind die beobachteten Veränderungen des rCBF nicht sicher der Schmerzwahrnehmung zuzuordnen, sondern könnten ebenso Ausdruck der motorischen Aktionen sein. Die von den Autoren vorgeschlagenen Interpretationen sind somit rein spekulativ. Trotz eines sehr guten Studiendesigns mit einer Kontrolle vieler relevanter psychophysischer Daten kann diese Studie die eigentliche Fragestellung nicht beantworten. (MJ)


23. *** Bohr T (1996) Problems with myofaszial pain syndrome and fibromyalgia syndrome (editorial) Neurology 46:593-597

Für Kritiker der Diagnosen Fibromyalgie-Syndrom (FS) und - in Deutschland seltener - myofasziales Schmerzsyndrom (myofascial pain syndrome, MPS) ist der Artikel des kalifornischen Neurologen Bohr fast ein Muß.

Er setzt sich kritisch und ironisch mit inhaltlichen Aspekten diese Krankheitsbegriffe und den sozialen Folgen durch den verbreiteten Gebrauch dieser Diagnosen in den USA und Kanada auseinander. Während der Begriff myofascial pain syndrome 1942 erstmals gebraucht wurde, hat erst die Herausgabe eines zweibändigen Handbuchs über Triggerpunkte Mitte der 80er Jahre durch die Erstbeschreiberin die Verbreitung dieser Diagnose entscheidend gefördert. Dieser für die Diagnosestellung implizit wichtige Befund zeigte jedoch in einer randomisierten Studie mit 4 unabhängigen Untersuchern eine so geringe Interrater-Reliabilität, und es wurden fast gleich häufig verhärteten Stellen und Muskelzuckungen bei Patienten und gesunden Kontrollen gefunden, daß Zweifel an der diagnostischen Verwertbarkeit dieser Befunde aufkommen. Daß Triggerpunkte als objektiv anzusehen seien, weil sie, ebenso wie das MPS auch bei Hunden gefunden werden, darf sicher als nicht fraglich gelten. Bezüglich EMG-Veränderungen herrscht unter den Protagonisten keine einheitliche Meinung, von einigen werden sie gefordert, andere finden sie nicht. Kritiker werteten entsprechende Befunde als normale Endplattenpotentiale.

Wie schwierig es ist, valide Kriterien für eine Krankheit ohne objektive Symptome zu erarbeiten zeigt der Autor am Beispiel des Fibromyalgie-Syndroms. Eine kanadisch-amerikanische Multizenter Studie hatte sich zum Ziel gesetzt, standardisierte Diagnosekriterien zu erarbeiten. Probanden wurden durch "investigators" rekrutiert, die durch 2 Experten ausgebildet worden waren . Die diagnostischen Kriterien wurden aus den Befunden von "blind assessors" geschaffen, die von den gleichen Experten ausgebildet worden waren und vor der Studie eng mit den "investigators" zusammengearbeitet hatten, bis sie zu vergleichbaren Ergebnissen kamen.
Das Ergebnis kann daher zurecht als Zirkelschluß bezeichnet werden. Die Diagnose von schmerzhaften Druckpunkten ("tender points") beruht auf der Angabe des Patienten den Fingerdruck des Untersuchers als Schmerz zu empfinden ohne daß objektive Kriterien eine Rolle spielen. Daß dem Untersucher Verfälschung durch falsche Untersuchungstechnik vorgeworfen wird wenn der Patient an unpassenden Stellen Schmerz angibt und so die Diagnose ein Frage stellt, oder daß bei fehlenden "tender points" ihm einfach das "Händchen" fehle zeigt, wie schlecht es um die Validität dieser Diagnose steht.
Daß FS-Patienten so selten psychiatrisch untersucht und behandelt werden, führt Bohr darauf zurück, daß FS-Patienten überwiegend internistische Kliniken konsultieren, in deren DSM-Kriterien sie schlecht passen und daß diese Patientengruppe psychische Probleme lange Zeit verneine. Auffällig ist die Diskrepanz in der Selbsteinschätzung von Patienten mit Polyarthritis, Morbus Bechterew und Fibromyalgie-Syndrom bezüglich ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit.
Bei der Beurteilung von Videoaufnahmen von Patienten dieser 3 Diagnosegruppen während der Bewältigung von standardisierten Aufgaben, war die körperlichen Leistungsfähigkeit von FS-Patienten nach objektiven Kriterien deutlich besser als ihre eigene Einschätzung, im Gegensatz zu den Patienten der anderen Diagnosegruppen.

Die sozialmedizinischen Folgen des Fibromyalgie-Syndroms und des myofaszialen Schmerzsyndroms sind groß. In Kanada müssen die private Versicherungen 200 Millionen Dollar pro Jahr für wegen FS-bedingter Invalidität ausgeben. In den USA muss der Steuerzahler aus dem gleichen Grund jährlich 8 Mrd. Dollar bezahlen. In Norwegen ist die Diagnose Fibromyalgie-Syndrom die häufigste Einzelursache für Invalidität. Zur schnellen Verbreitung dieser Krankheiten hat nach Bohrs Ansicht auch das Internet beigetragen. Betroffene tauschen Symptome aus, bestärken sich in ihrem Krankheitsbewußtsein und können sich schnell weltweit zu Interessengemeinschaften zusammenschließen. Wenn dann eine kritische Masse überschritten ist, übernimmt die Presse schnell einseitige, unbewiesene Theorien und verbindet sie mit dem Vorwurf die Schulmedizin habe diese Patienten bisher völlig ignoriert.

Während der Autor mit seiner Kritik vor allem die Rheumatologen trifft, reflektiert er zum Schluß was die Neurologen in dieser Situation für ihre Patienten tun können. Viel ist es nicht, fehlleitende Begriffe wie Fibromyalgie-Syndroms und myofasziales Schmerzsyndrom durch neutralere zu ersetzen, Depressionen als solche zu erkennen und konsequent zu behandeln und den Patienten vor Rückzug in die Krankheit und Aufgabe der Arbeit zu bewahren.
Aber sicher sind dem Arzt in dieser Hinsicht die Hände gebunden, wenn er wie Bohr meint, eine seiner wichtigsten Funktionen verloren hat, dem Patienten zu versichern, daß er nicht schwer erkrankt sei und ihm Sicherheit zu vermitteln. Vielleicht erhofft sich der kalifornische Neurologe daß es den beiden Modediagnosen so ergehen möge wie einer vergleichbaren "Epidemie" im England der 20er Jahre, die als "Nervenzusammenbruch" sprachlich ins Abseits geraten, wieder verschwand. (GL)


24. ***** Kost RG, Strau SE (1996). Postherpetic neuralgia - pathogenesis, treatment and prevention. N Engl J Med 335:32-42

Bei der vorliegenden Übersicht handelt es sich um eine hervorragende Zusammenfassung zur derzeitigen Kenntnis der Klinik und Behandlung der postzosterischen Neuralgie.

Schmerz ist das häufigste Begleitsymptom des Herpes zoster. Typische Schmerzsensationen sind Parästhesien, Dysästhesien, Hyperästhesien und neuralgieforme einschießende Schmerzen. Die jährliche Inzidenz des Herpes zoster liegt je nach Alter zwischen 0,4 und 1,6/1000 Personen im Alter unter 20 Jahren und 4,5 - 11/1000 bei Personen über 80 Jahre.
Gehäuft tritt die Erkrankung auf bei HIV-Infektionen, bei anderen Störungen des Immunsystems und bei Patienten mit malignen Tumoren (Faktor 50-100 häufiger). Postzosterische Neuralgie wird definiert als ein Schmerz, der mehr als 1 Monat nach dem Beginn der Erkrankung noch besteht. Das Risiko der postzosterischen Neuralgie nimmt mit dem Alter zu. Die Häufigkeit beträgt 27% im Alter über 55 Jahre, 47% im Alter über 60 und 73% im Alter über 70 Jahre. Schmerzen, die länger als 1 Jahr anhalten, bestehen bei 4% der über 20jährigen, 22% der über 55jährigen und 48% der über 70jährigen. Besonders häufig führt der Herpes zoster im 1. Trigeminusast zu postzosterischen Schmerzen. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Die Wahrscheinlichkeit einer postzosterischen Neuralgie ist bei Patienten mit verminderter Immunlage nicht vergrößert.
Die Behandlung im Akutstadium kann durch Acetylsalicylsäure und andere peripher wirksame Analgetika erfolgen. Nur eine doppelblinde kontrollierte Studie zeigte, daß die lokale Anwendung des Anästhetikums Lidocain zu einer kurzfristigen Besserung führt. Für länger anhaltende Schmerzen wurde auch Capsaicin, Bestandteil des Roten Pfeffers, angewandt. Diese Substanz ist als Salbe verfügbar und hemmt Substanz P, einen Peptid-Neurotransmitter. In einer prospektiven Studie an 143 Patienten kam es nach 4 Wochen Behandlung zu einer Verbesserung der Schmerzen bei 21% der Patienten, die mit Capsaicin-Salbe behandelt worden waren im Vergleich zu 6% in der Kontrollgruppe. Allerdings führt Capsaicin zu einem heftigen Brennen und zu einer vorübergehenden Verstärkung der Schmerzen, was eine Verblindung der Studienmedikation unmöglich macht.

Die größten Erfahrungen in der Behandlung der postzosterischen Neuralgie bestehen für die trizyklischen Antidepressiva. Die meisten Studien liegen zu Amitriptylin in Tagesdosen zwischen 75 und 200 mg vor. Bei etwa zwei Drittel der Patienten kommt es zu einer Reduktion der Schmerzintensität. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer sind offenbar nicht wirksam. Die einschießenden neuralgieformen Schmerzen sprechen auf eine Behandlung mit Carbamazepin an. Durch diese Behandlung wird allerdings der brennende Dauerschmerz nicht beeinflußt.
Optimal wäre allerdings, das Auftreten der postzosterischen Neuralgie schon zum Zeitpunkt der akuten Infektion im Bläschenstadium zu verhindern. Es gibt insgesamt fünf prospektive Studien zum Einsatz von Cortison. Zwei der Studien zeigten eine Wirkung von Cortison, zwei nicht. In einer fünften Studie mit 208 Patienten wurden Placebo, hochdosiertes Cortison, Aciclovir oder die Kombination von Aciclovir und Prednison über 21 Tage eingesetzt. Die akuten Schmerzen klangen mit Prednison rasch ab. Durch die Behandlung konnte allerdings nicht das Auftreten der postzosterischen Neuralgie verhindert werden. Es gibt eine Vielzahl von Fallberichten zu lokalen Blockaden entweder paravertebral, epidural oder Sympathikusblockaden im Akutstadium. Große prospektive, randomisierte Studien zur präventiven Wirkungen von Nervenblockaden fehlen allerdings. Einzelne Studien zeigten nur in seltenen Fällen, daß eine konsequente parenterale Behandlung mit Aciclovir oder anderen Virostatika das Auftreten einer postzosterischen Neuralgie verhindern können.

Erst eine Metaanalyse aus vier prospektiven Studien zeigte, daß durch eine adäquate Akutbehandlung mit mindestens 5 x 800 mg Aciclovir über 7 Tage die Häufigkeit einer postzosterischen Neuralgie reduziert werden kann. Deswegen sollte im Akutstadium mit Aciclovir 5 x 800 mg, mit Famciclovir 3 x 750 mg und mit Valaciclovir 3 x 1 g über 1 Woche behandelt werden. Bei über 50jährigen Patienten sollte eine Zusatzbehandlung mit Cortison erwogen werden. Besteht eine postzosterische Neuralgie, sollte die Behandlung mit Amitritpylin und/oder Carbamazepin erfolgen. (HCD)


25 .***** Barker FG, Jannetta PJ, Bissonette DJ, Larkins MV, Jho HD (1996). The longterm outcome of microvascular decompression for trigeminal neuralgia. N Engl J Med 334:1077-1083

Die typische Trigeminusneuralgie geht mit triggerbaren einschießenden Paroxysmen einher. Die meisten Patienten sprechen gut auf eine Behandlung mit Carbamazepin an. Patienten, die auf diese Therapie nicht ansprechen oder auf Dauer ausgeprägte Nebenwirkungen haben, müssen sich einer operativen Therapie unterziehen.

Theoretisch in Frage kommen die Thermokoagulation des Ganglion gasseri, die Injektion von Glycerol in die Zisterna trigemini oder die Kompression des Ganglion trigeminale über einen Ballon. Kausal wirksam ist die mikrovaskuläre Dekompressionsoperation im Bereich der hinteren Schädelgrube. Die Arbeitsgruppe um Jannetta, der diese Operationsmethode vor über 20 Jahren entwickelte, berichtet jetzt ihre Langzeitergebnisse. In diesem Zeitraum wurden insgesamt 1185 Patienten operiert. Bei 1155 lag eine Verlaufsbeobachtung von über 1 Jahr vor. Die mittlere Verlaufsbeobachtung betrug 6,2 Jahre. 10 Jahre nach der Operation waren 70% der Patienten beschwerdefrei, d. h. sie hatten keine Schmerzen und benötigten keine Medikation mehr. 4% hatten gelegentliche Schmerzen, benötigten aber keine Gabe von Carbamazepin. Bei 30% der Patienten trat die Trigeminusneuralgie wieder auf. Bei den meisten geschah dies innerhalb der ersten 2 Jahre nach der Operation. Bei 11% der Patienten wurde eine zweite Operation durchgeführt.
Prädiktoren für ein Wiederauftreten der Trigeminusneuralgie waren weibliches Geschlecht, andauernde Symptome über 8 Jahre hinaus, eine venöse anstatt einer arteriellen Assoziation mit dem N. trigeminus und ein fehlender unmittelbarer postoperativer Therapieerfolg. Schwerwiegende oder leichtere Komplikationen umfaßten 2 Todesfälle, einen Hirnstamminfarkt, 2 Kleinhirnblutungen, 4 Patienten mit einem Kleinhirnödem, 2 mal Hydrocephalus, 10 Facialisparesen, 16 Hörstörungen, 11 mal eine vorübergehende Läsion des N. trochlearis, 22 Fälle einer ausgeprägten Sensibilitätsstörung im Trigeminusbereich, 20 Fälle einer Liquorfistel und 5 Fälle einer bakteriellen Meningitis.

Insgesamt zeigt diese Übersichtsarbeit einen hervorragenden Erfolg der mikrovaskulären Dekompression. Die hier berichteten geringen Komplikationsraten dürfen allerdings nicht generalisiert werden, da es sich hier um ein Zentrum handelt, das sich auf diesen operativen Eingriff spezialisiert hat. (HCD)


DMKG