Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft


Klinik und Therapie von Kopfschmerzen bei entzündlichen Erkrankungen des Kopfes

Prof. Hilmar W. Prange


Bei gemeinsamen Auftreten von Kopfschmerzen und allgemeinen Entzündungszeichen muß grundsätzlich eine infektiöse Schmerzursache erwogen werden. Dies trifft insbesondere zu, wenn der Kopfschmerz akut, heftig und in dieser Form noch nie erlebt worden ist. Aber auch ein chronisches Kopfschmerzleiden schließt die entzündliche Genese keinesfalls aus.

Erste Verdachtsmomente auf letztere ergeben sich, wenn gleichzeitig Fieber besteht und/oder das klinische Laborprofil eine Leukozytose, eine Senkungsbeschleunigung, sowie erhöhte Werte für C-reaktives Protein, Serumamyloid A und/oder Fibrinogen aufweist. Im Rahmen der weiteren Diagnostik sind entzündliche Erkrankungen der nicht dem ZNS zugehörenden Organe des Kopfes von den intrakraniellen bzw. intrazerebralen entzündlichen Prozessen abzugrenzen. Der untersuchende Arzt hat also - je nach Schmerzlokalisation - auch entzündliche Erkrankungen der Sinnesorgane, der pneumatisierten Räume des Schädelknochens, der Kopfhaut sowie der Mundhöhle, des Rachens und der Zähne bei der Ursachensuche mit zu berücksichtigen. Bei entsprechenden Verdachtsfällen ist eine zahnärztliche, ophthalmologische oder auch otologische Befunderhebung zu veranlassen. Die in den meisten Fällen indizierte bildgebende Diagnostik des Schädels (cCT, MRT, Nativ-Röntgen) wird extrazerebrale Prozesse mit berücksichtigen. Die serologische und mikrobiologische Diagnostik sollte dann schon auf den je nach klinischem Befund konkretisierten Verdachtsfall fokussiert sein. Beispielsweise bei Sinusitis ethmoidalis machen serologische Diagnostikverfahren weniger Sinn als eine kulturelle Abstrichdiagnostik - es sei denn man denkt an eine Wegener'sche Granulomatose, die mittels Nachweis von Immunkomplexen bzw. Autoantikörper gegen neutrophile Granulozyten (cANCA-Titer) diagnostisch erfaßt werden kann. Dagegen wird bei Verdacht auf Borreliose (Zeckenbiß in der Vorgeschichte) die Erregersuche meistens erfolglos bleiben; die Antikörperdiagnostik ist in solchen Fällen indiziert. Zu beachten ist auch, daß eine Otitis, Sinusitis, Mastoiditis oder eine Orbitaphlegmone in den intrakraniellen Raum fortgeleitet werden kann und dort Meningitiden, subdurale Empyem, Hirnabszesse oder eine septische Sinusthrombose induzieren kann.

Entzündliche ZNS-Erkrankungen, die obligat mit Kopfschmerzen einhergehen, spielen sich an den Gewebselemente ab, in denen sich Nozizeptoren oder sonstige schmerzleitende Organe befinden - nämlich an Meningen, Hirngefäßen und perivaskuläre Gewebestrukturen sowie an sensiblen Ganglien. Intraparenchymatöse Prozesse, wie Hirnabszesse, Granulome (Neurosarkoidose, Toxoplasmose, Neurotuberkulose, Hirngummata, Pilz-, Listerien- und Nocardiengranulome) und Parasitenzysten führen oft, aber nicht immer zu Zephalgien; der Kopfschmerz, sofern er überhaupt vorhanden ist, wird dabei in der Regel als dumpf und schwer zu lokalisieren angegeben. Hirnhautentzündungen führen demgegenüber fast ausnahmslos zu heftigen, kaum ertragbaren, holozephalen Schmerzen, die nahezu immer mit Übelkeit und Erbrechen (Vagusreiz) verbunden sind. Man kann dementsprechend mit Wahrscheinlichkeit vom jeweiligen Kopfschmerzsyndrom auf die Kopfschmerzursache schließen:
  1. Heftiges, unerträgliches Druckgefühl mit Erbrechen und Fieber -> akute entzündliche ZNS-Erkrankungen wie bakterielle Meningitis, Virus-Meningitis und -Enzephalitis, akut exazerbierende Autoimmunkrankheiten
  2. ständiges Druckgefühl, oft pulsierend, zumeist nicht lokalisierbar, evtl. Benommenheit -> chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankungen, z.B. Neurosyphilis, Neuroborreliose, ZNS-Tuberkulose, metastatische Herdenzephalitis, chronische Virusenzephalitiden, zerebrale Immunvaskulitis (Arteriitis cranialis u.a.)
  3. zunehmender, als tief empfundener Kopfdruck wechselnder Intensität, oft beim Pressen oder Beugen verstärkt -> raumfordernde entzündliche ZNS-Prozesse wie Hirnabszeß, ZNS-Parasitosen, embolische Herdenzephalitis, Granulomleiden, septische Sinusthrombose
  4. rezidivierender heftiger heller Kopfschmerz, oft mit Erbrechen, manchmal mit Fieber -> rezidivierende entzündliche ZNS-Krankheiten, beispielsweise die Mollaret'sche Meningitis

Die Kopfschmerzhäufigkeit wird für nicht akut verlaufende entzündliche ZNS-Leiden wie folgt angegeben:
Neurosyphilis 30 % (Prange, Neurosyphilis, Göttingen 1981)
Neuroborreliose
Stadium 1 65 % (Scheld W. et al., Infections of the Central Nervous System, Raven New York 1991)
Stadium 2 30-90 %
Meningitis tuberculosa
Kinder 20-50 % (Scheld W. et al., 1991)
Erwachsene 50-70 %
ZNS-Kryptokokkose 70-100 %
Neurozystizerkose 23-98 %
Metastatische Herdenzephalitis ca. 35 % (Bitsch et al., Acta Neurol Scand, 1997)
Hirnabszeß 80 % (Schielke E., Nervenarzt, 1995)


Bei einem chronischen Kopfschmerzleiden sollte auch an die nachfolgend aufgeführten Krankheiten gedacht werden, insbesondere wenn die Zephalgien mit weiteren neurologischen Symptomen (Herdbefunde, Myoklonien, Krampfanfälle, Demenzprozeß) kombiniert sind: Diese - zumindest in Mitteleuropa - eher selteneren ZNS-Prozesse mit chronischen Verlauf, gehen nicht immer mit systemischen Entzündungszeichen einher. Sie werden durch spezielle immunologische oder molekularbiologische (PCR) Verfahren diagnostisch erfaßt.

Grundsätztlich ist bei jedem Verdachtsfall auf akute oder chronische ZNS-Erkrankung eine differenzierte Liquoranalytik zu fordern. Sie schließt neben Zellzahl und Zytologie die Protein-, Immunglobulin-, Antikörper- und im Bedarfsfall auch die PCR-Diagnostik ein. Erhöhungen des Liquorlaktats sind bei akuten bakteriellen ZNS-Krankheiten zu erwarten, hingegen spricht der Nachweis oligoklonaler IgG-Banden für chronischen Entzündungen des Gehirns.

Weil bei raumfordernden intrazerebralen Prozessen eine Lumbalpunktion mitunter durch Druckentlastung zu einer sog. Einklemmungssymptomatik führen kann, sollte vor der Lumbalpunktion in der Regel die Durchführung der kranialen Computer-Tomographie oder besser noch einer Kernspintomographie stehen. Je nach klinischem Verdachtsfall sollen bei entzündlichen ZNS-Erkrankungen gezielte Zusatzuntersuchungen wie beispielsweise die Suche nach septischen Streuherden, Befall anderer Organe, dispositionellen Faktoren (z.B. Immunschwäche) vorgenommen werden.

Die Behandlung der durch entzündliche ZNS-Prozesse verursachten Kopfschmerzleiden erfolgt einerseits symptomatisch, andererseits aber auch ursachenbezogen. Die symptomatische Therapie basiert auf der Verabfolgung der üblichen Schmerzmittel; bei schweren Schmerzuständen bevorzugen wir Opiode, beispielsweise Tramadol in parenteraler Applikation.

Die kausale Therapie wird gemäß der nachfolgenden Schemen durchgeführt:
  1. Therapie bei purulenter Meningitis:
  2. Therapie chronischer ZNS-Leiden:
  3. Therapie chronischer ZNS-Leiden
  4. Therapie akuter viraler ZNS-Leiden
Die vorgenannten Therapiemaßnahmen werden in der Regel unter stationären Bedingungen durchgeführt oder - bei leicheteren Krankheitsbildern - stationär begonnen.




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