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Ergotamine und Triptane

  

Forschungsergebnisse der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft

Ergotamine und Triptane — pro und contra

Prof. Dr.med. Hartmut Göbel

Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik Kiel in Kooperation mit der Universität Kiel

Viele Migränepatienten haben die Erfahrung gemacht, daß sogenannte einfache Schmerzmittel bei ihnen zu keinerlei ausreichender Wirksamkeit führen. Der Schmerz klingt nicht ab, parallel dazu bestehen starke Übelkeit oder sogar Erbrechen. Die Patienten sind zwei bis drei Tage ans Bett gefesselt, fühlen sich elend und krank. Schmerzen, soziale Inaktivität, Arbeitsunfähigkeit sind die Folge. Die Situation wird als schwere Migräneattacke bezeichnet. Sie ist immer dann anzunehmen, wenn das zunächst eingesetzte Behandlungsschema für leichte Migräneattacken sich als nicht ausreichend wirksam erweist. Schwere Migräneattacken liegen jedoch auch dann vor, wenn sehr stark ausgeprägte neurologische Begleitstörungen der Migräne, im Sinne von Aurasymptomen oder aber auch eine Kombination von mehreren Aurasymptomen auftreten. Unter dieser Voraussetzung werden sogenannte spezifische Migränemittel eingesetzt. Dazu zählen die früher verwendeten Ergotalkaloide, die heute in der Migränetherapie als veraltet angesehen werden können. Als Ersatz für diese Ergotalkaloide stehen heute eine Reihe verschiedener sogenannte Triptane zur Verfügung. Spezifische Migränemittel bedürfen der ärztlichen Verordnung. Der Einsatz dieser Medikamente muß aus verschiedenen Gründen überlegt und bewußt erfolgen.

Ergotalkaloide

Ergotalkaloide waren bis 1993 die einzige Möglichkeit zur Eigenbehandlung schwerer Migräneattacken. Ergotalkaloide konnten durch Gabe von Tabletten, Zäpfchen oder Aerosolspray zum Inhalieren eingesetzt werden. Secale cornutum (Mutterkorn) ist ein durch einen Pilz befallenes Getreidekorn. Flüssige Extrakte von Mutterkorn wurden bereits im 19. Jahrhundert zur Therapie der Migräneattacke eingesetzt. In der Medizin wurde zumeist Ergotamintartrat in der Behandlung der Migräneattacke verwendet.

Bei Einsatz von Ergotamin mußte die Gabe in der Migräneattacke so früh wie möglich vorgenommen werden, da eine Wirkung bei späterer Verabreichung und weiterem Fortschreiten der Migräneattacke oft nicht mehr erzielt werden konnte. Aus diesem Grund mußte auch die gesamte Dosis zu Beginn insgesamt eingenommen und nicht etwa aufgeteilt durch mehrere Einzelgaben mit zeitlichem Abstand eingesetzt werden. Darüber hinaus war die individuelle Ansprechbarkeit auf Ergotamintartrat sehr unterschiedlich. So konnten Dosen, die bei einem Patienten problemlos verträglich waren und auch zu einer effektiven Behandlung des Migräneanfalles führten bei anderen bereits zu starker Übelkeit und Erbrechen führen und eventuell sogar die Symptomatik des Migräneanfalls verstärken. Der Einsatz von Zäpfchen wurde der Einnahme von Tabletten oder Kapseln vorgezogen, da die Wirkung dadurch schneller eintrat. Die erforderliche Dosis von Ergotamintartrat betrug in der Regel 1-2 mg.

Ergotamintartrat lag auch als Dosieraerosol vor. Dabei konnte durch einen Dosiermechanismus die Menge von 0,45 mg Ergotamintartrat als feines Pulver inhaliert werden. Damit es zu einer optimalen Aufnahme des Medikamentes kommen konnte, mußten die Patienten die Anwendungsvorschriften auf dem Beipackzettel genau beachten. Das Medikament konnte natürlich nur dann wirksam werden, wenn richtig eingeatmet wurde und nicht vor Schreck die Luft angehalten oder gar ausgeatmet wurde. Da dem Wirkstoff zur Anwendung im Dosierspray eine Treibgas beigemischt werden mußte, wurde diese Anwendungsform aus Umweltschutzgründen untersagt. Die Gesamtmenge des Treibgases, das in allen Dosierfläschchen enthalten war, war jedoch geringer als die in einem einzigen Kühlschrank. Dieses Beispiel zeigt wieder einmal, wie wenig die Belange der Migränepatienten im Alltag berücksichtigt werden. Da mittlerweile jedoch durch die Einführung der Triptane effektivere und verträglichere Alternativen verfügbar sind, ist dieses Problem bedeutungslos geworden.

  • Bei der Therapie mit Ergotalkaloiden war größte Vorsicht geboten! Die zu häufige Einnahme von Ergotalkaloiden konnte sehr schnell die Migräneattacken in ihrer Häufigkeit und Intensität verschlimmern! Sehr leicht konnte ein ständiger, täglicher Kopfschmerz entstehen, ein sogenannter medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz.

Bei Absetzen entsteht ein sogenannter Entzugskopfschmerz und die Betroffenen müssen deshalb ständig weiter und mit der Zeit mehr und mehr Ergotalkaloide einnehmen, um nicht einen Entzugskopfschmerz zu erleiden. Bei Dauertherapie konnten auch sehr schwere Durchblutungsstörungen in den verschiedenen Körperorganen auftreten, meist zunächst in den Armen und Beinen. Die Durchblutungsstörungen konnten sogar sehr ernste Folgen haben, bis hin zum tödlichen Verlauf mit Herzinfarkt oder Absterben von Teilen des Darmes aufgrund mangelnder Durchblutung, weil eine dauernde Gefäßverengung verursacht wurde.

  • Aus diesem Gründen werden heute Ergotalkaloide in der modernen Migränetherapie nicht mehr eingesetzt.
  • Eine spezielle Indikation ist die Kurzzeitprophylaxe in der Behandlung des Clusterkopfschmerzes. Diese sollte jedoch nur in spezialisierten Zentren unter sorgfältiger Kontrolle durchgeführt werden.

 

Einsatz und Besonderheiten der Triptane

Die Ergotalkaloide erzielten nur bei circa 50-60% der behandelten Patienten eine ausreichend gute Wirkung. Darüber hinaus konnten diese Substanzen schwerwiegende Nebenwirkungen erzielen. Aus diesem Grunde bestand schon lange ein Bedarf an Ersatzmöglichkeiten. Migräneforscher haben sich daher sehr intensiv auf die Suche nach anderen Therapieformen begeben. Seit Februar 1993 ist in Deutschland die Substanz Sumatriptan als feste Form eines speziell entwickelten Migränemittels erhältlich.

  • Sumatriptan wird daher auch als das Triptan der ersten Generation bezeichnet.
  • Dieser Wirkstoff ist die erste Therapiemöglichkeit, die ganz spezifisch für die Migräne entwickelt worden ist.

Die besonderen Vorteile bei diesem Medikament sind:

  • Es wirkt nach bisherigen Forschungsergebnissen gezielt nur an den Stellen in Körper, an denen der Migräneschmerz entsteht, das heißt an den entzündeten Blutgefäßen des Gehirns.
  • Die Besserung der Migräne kann bereits nach 10 Minuten eintreten.
  • Es kann als Tablette, als Fertigspritze, als Nasenspray oder als Zäpfchen zur Selbstbehandlung angewendet werden.
  • Zum Einsatz der Fertigspritze wurde ein speziell entwickeltes Gerät, der sogenannte Glaxopen eingeführt, mit dem die Patienten eigenständig den Wirkstoff unter die Haut spritzen können. Dadurch wird ein besonders schneller Wirkeintritt ermöglicht.
  • Ein guter Behandlungserfolg kann bei circa 86% der behandelten Patienten erzielt werden.
  • Es kann zu jedem Zeitpunkt während der Migräneattacke ohne Wirkungsverlust gegeben werden, muß also nicht sofort zu Beginn des Anfalles eingesetzt werden.
  • Da die Substanz sehr schnell im Körper abgebaut werden kann, ist die Gefahr einer Überdosierung und Ansammlung des Medikamentes im Körper gering.
  • Obwohl auch bei zu häufigem Gebrauch (an mehr als 10-15 Tagen pro Monat) ein medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz entstehen kann, ist im Vergleich zu den alten Ergotalkaloiden die Symptomatik dieser medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen deutlich milder und kann in der Regel durch einen ambulanten Entzug beseitigt werden.

Der Einsatz dieser Substanz ist jedoch auch mit verschiedenen Besonderheiten versehen, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen:

  • Der Wirkstoff wird im Körper sehr schnell abgebaut. Bei lange anhaltenden Migräneattacken kann der Kopfschmerz erneut auftreten. Man spricht dann von einem sogenannten Wiederkehrkopfschmerz. In dieser Situation muß der Wirkstoff erneut zugeführt werden. Patient und Arzt haben dadurch jedoch die gute Möglichkeit, den Einsatz des Wirkstoffes exakt zu steuern. Durch diese Besonderheit ist es nicht erforderlich, den Körper mit zuviel Wirkstoff zu belasten der eine langanhaltende Wirksamkeit hat.
  • Die Triptane dürfen bisher nicht bei Menschen, die jünger als 18 oder älter als 65 Jahre sind angewendet werden, da Erfahrungen für diese Altersgruppen noch nicht ausreichend vorliegen und wissenschaftliche Studien bisher nicht in ausreichender Zahl bei diesen Altersgruppen durchgeführt worden sind.
  • Es muß eine ausführliche, ärztliche Untersuchung, einschließlich Elektrokardiogramm (EKG) und Beratung vor dem Einsatz erfolgen.
  • Bei Anwendung der Fertigspritze mit dem Autoinjektor muß die erste Behandlung unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt werden.
  • Es müssen, wie bei jedem Medikament, unerwünschte Wirkungen (sogenannte Nebenwirkungen) und Situationen, bei denen das Medikament nicht eingesetzt werden darf (Kontraindikation) beachtet werden (siehe Medikamentenmerkblatt Sumatriptan im Anhang).
  • Sumatriptan ist wie alle Triptane im Vergleich zu anderen neuentwickelten, innovativen Medikamenten für andere Erkrankungen zwar ähnlich teuer, im Vergleich zu den bisherigen Medikamenten zur Migränetherapie aber wesentlich teurer. Aufgrund der vielen Vorteile der Triptane rechnet sich jedoch der Einsatz auch aus ökonomischen Gründen, da Arbeitsunfähigkeit und Folgekosten durch eine inadäquate Behandlung durch diese neuen spezifischen Migränemittel deutlich reduziert werden können.

Die Vorteile dieser Substanz erlauben einen guten Therapieeffekt bei Patienten, die bisher nicht ausreichend behandelt werden konnten. Die Besonderheiten erfordern jedoch einen gezielten Einsatz des Medikamentes.

Das Medikament, und dies gilt für alle anderen Triptane auch, sollte eingesetzt werden,

  • wenn der Einsatz der oben beschriebenen Therapieverfahren für leichte Migräneattacken nicht zu einer ausreichenden Linderung der Beschwerden führt und
  • die Patienten weiterhin durch die Migräne behindert sind.

Voraussetzung dafür ist, daß die beschriebenen Therapierichtlinien auch tatsächlich eingehalten werden. Eine weiterbestehende, erhebliche Behinderung trotz richtig eingesetzter Therapiemaßnahme kennzeichnet sich zum Beispiel durch

  • starke Schmerzen
  • lange Dauer der Attacken
  • lange Latenzzeit bis zum Eintreten des Therapieeffektes
  • starke Übelkeit und Erbrechen
  • starke und anhaltende Behinderung der üblichen Tätigkeit
  • Arbeitsunfähigkeit

Sumatriptan und auch die Triptane der zweiten und dritten Generation sollten nicht eingesetzt werden, wenn

  • keine ausreichende ärztliche Voruntersuchung einschließlich Blutdruckmessung und Elektrokardiogramm, sowie individueller Beratung vorgenommen wurde. Dies gilt auch gerade für den erstmaligen Einsatz in der Notfallsituation bei schweren Migräneattacken.
  • die oben beschriebenen Therapiemöglichkeiten zur Vorbeugung und Akutbehandlung von Migräneattacken noch nicht systematisch, individuell ausprobiert worden sind.
  • ein medikamenteninduzierter Dauerkopfschmerz besteht.
  • Gegenanzeigen bestehen, wie zum Beispiel ein Zustand nach Herzinfarkt, Zustand nach Schlaganfall, andere Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck, Leber- oder Nierenerkrankungen (siehe Anhang Medikamentenmerkblätter).

Sumatriptan und die Triptane der zweiten und nachfolgenden Generationen sind zweifellos eine sehr gute Alternative für Patienten, die mit den bisherigen Therapiemöglichkeiten keinen befriedigenden Behandlungserfolg erzielen konnten. Der Einsatz muß gut begründet sein und die Attackenbehandlung muß kontinuierlich mit einem Schmerzkalender dokumentiert werden.

  • Da die Migräne eine schwerwiegende Schmerzerkrankung ist, zu extremen Leid, Begleitstörungen, Arbeitsausfall und Folgekosten führt ist mit Einsatz der Triptane heute eine hocheffektive Behandlungsmöglichkeit gegeben.
  • Migränepatienten haben wie alle Schmerzpatienten ein Recht auf eine adäquate, zeitgemäße, moderne Schmerztherapie.
  • Daher sollten die Triptane bei Erforderlichkeit Patienten nicht vorenthalten werden.
  • Ängste vor Nebenwirkungen sind bei entsprechender Beachtung der Kontraindikationen nicht begründet, da viele Langzeitstudien den Beleg erbracht haben, daß die Anwendung hocheffektiv und verträglich erfolgen kann.
  • Im Hinblick auf den früheren Einsatz der Ergotalkaloide sind die Triptane deutlich nebenwirkungsärmer und wesentlich effektiver und gezielter einsetzbar.

 

Triptane der zweiten und dritten Generation

Im Jahr 1997 wurde

  • Zolmitriptan und
  • Naratriptan

als Triptane der zweiten Generation eingeführt. Im Jahre 1998 wurden zusätzlich als sogenannte Triptane der dritten Generation

  • Eletriptan und
  • Rizatriptan

für Migränepatienten verfügbar gemacht. Für die Entwicklung der Triptane in der zweiten und dritten Generation gab es mehrere Gründe. Die Wirksamkeit vom Sumatriptan zeigt sich bei maximal 70-90% der behandelten Attacken.

  • Ziel war es daher, durch noch höhere Effektivität, eine größere Wirksamkeit zu erreichen. Es wurden Substanzen entwickelt, die die Serotoninrezeptoren noch spezifischer aktivieren können. Tatsächlich liegt die stimulierende Potenz der Triptane der zweiten und dritten Generation deutlich höher als die von Sumatriptan.
  • Während Sumatriptan im wesentlichen an den entzündeten Gefäßen des Gehirns wirkt, können die Triptane der zweiten und dritten Generation auch im zentralen Nervensystem an den Stellen aktiv werden, die zu einer Aktivierung der Nervenfasern führen, die in Folge die neurogene Entzündung an den Blutgefäßen auslösen. Dadurch sind diese Substanzen offensichtlich auch in der Lage, an mehreren Wirkungsorten ihre Effektivität zu erzeugen.
  • Die Triptane höherer Generation haben eine höhere Bioverfügbarkeit, das heißt sie werden besser im Magen-Darm-Trakt aufgenommen und damit ist ihre Wirkung auch während der Migräneattacke zuverlässiger.
  • Ebenfalls sind diese Substanzen in der Lage die sogenannte Blut-Hirn-Schranke besser zu passieren, wodurch sie befähigt sind, zentrale Wirkorte optimaler zu erreichen.
  • Ein besonderes Verbesserungsziel bestand darin, daß der Wiederkehrkopfschmerz, der bei circa 30% der behandelten Migräneattacken zu beobachten ist, weniger häufig auftritt und eine längere Wirksamkeit erzielt werden kann. Dies gilt insbesondere bei Migräneattacken, die über mehrere Tage anhalten.
  • Auch die Nebenwirkungen sollten bei den Triptanen der höheren Generationen reduziert werden. Dies gilt insbesondere für Herzbeschwerden, im Sinne von Herzenge.
  • Ein weiterer Grund für die Neuentwicklung ist die größere Schnelligkeit des Wirkungseintrittes.
  • Schließlich sollten auch neue Anwendungsformen, wie zum Beispiel Nasenspray oder Zäpfchen dazu beitragen, daß der Wirkstoff in den verschiedenen Situationen möglichst effektiv verabreicht werden kann.

Darreichungsformen der Triptane

Derzeit in Deutschland zugelassen sind Sumatriptan (Imigran®, eingeführt Januar 1993) (Tablette, Nasenspray, Suppositorium, s.c.-Autoinjektor/Fertigspritze), Naratriptan (Naramig®, eingeführt August 1997) (Tablette), Zolmitriptan (Ascotop® eingeführt 1997) (Tablette) und Rizatriptan (Maxalt® eingeführt 15.Oktober 1998). Eletriptan (Relpax®) befinden sich noch in der klinischen Prüfung, seine Zulassung wird in der zweiten Jahreshälfte 1999 erwartet.

Abb. 1: Therapie der schweren Migräneattacke. Übersicht über in Deutschland zugelassene Triptane und ihre Applikationsformen

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