CADASIL
("Cerebral Autosomal Dominant Arteriopathy with Subcortical Infarcts and Leukoencephalopathy") - ist eine hereditäre Form der zerebralen Mikroangiopathie. Die Erkrankung beruht auf Mutationen in dem Gen für Notch3 (Genlokus auf dem kurzen Arm von Chromosom 19) (Joutel et al., 1996). Leitsymptom sind rezidivierende ischämische Schlaganfälle, die im mittleren Erwachsenenalter einsetzen (mittleres Erstmanifestationsalter: 46 Jahre; 30-66 J) und zu akkumulierenden neurologischen Ausfällen führen (Chabriat et al., 1995; Dichgans et al., 1998). Weitere wichtige Symptome sind die Entwicklung von kognitiven Defiziten sowie psychiatrische Manifestationen.
CADASIL und MigräneDie meisten Beroffenen beobachten eine Änderung der Attackenfrequenz im Laufe der Jahre: 14% der von uns untersuchten Patienten mit Migräne und Schlaganfällen berichteten über eine deutliche Zunahme der Attackenfrequenz oder -schwere in den Monaten vor der ersten ischämischen Episode. In 54% der Fälle hatte die Migräne nach dem ersten Schlaganfall deutlich nachgelassen. Bei 36% hatte die Migräne vollständig sistiert. Einundzwanzig Prozent der Patienten berichteten über eine spontane Remission der Migräne vor Beginn der ischämischen Symptome.
Aufgrund von Beobachtungen in einer französischen Familie vermuteten Verin und Mitarbeiter die Existenz einer gesonderten klinischen Variante von CADASIL mit Migräne, psychotischen Störungen und frühen neurologischen Ausfällen (Verin et al., 1995). Ob diese, die von Chabriat vorgestellte Familie (Chabriat et al., 1995) und die Familie von Mellies (Mellies et al., 1998) jeweils echte Varianten der Erkrankung darstellen muß vorerst offen bleiben. Eine Untersuchung der zugrundeliegenden Mutationen (Genotyp-Phänotyp-Korrelationen) dürfte helfen diese Frage zu klären.
Die Ursache für das gehäufte Auftreten von Migräne bei CADASIL ist unbekannt. Möglicherweise führen die für die Erkrankung charakteristischen Gefäßveränderungen zu einer erhöhten Gefäßreagibilität und damit zu Spasmen der Gefäßmuskulatur. Weiterhin ist denkbar, daß Migräneattacken bei CADASIL durch zerebrale Ischämien getriggert werden. Ein gehäuftes Auftreten von Kopfschmerzen im Rahmen von transienten ischämischen Attacken (TIA) oder Schlaganfällen ist auch für Patienten mit anderen Grunderkrankungen gut belegt (Gorelick et al., 1986; Portenoy et al., 1984). Interessanterweise ist auch hier die Migräne der häufigste Kopfschmerztyp. Olesen berichtete über Beobachtungen an Patienten mit arteriellen Dissektionen, die Migräne-artige Kopfschmerzen entwickelten. Diese Kopfschmerzen verschwanden mit der Rekanalisation des Gefäßes (Olesen, 1987). Die gleiche Gruppe berichtete über Untersuchungen an 15 Patienten mit Migräne und Schlaganfällen. Bei 45% der Patienten fanden sich Hinweise dafür, daß die Migräne-Attacken Ischämie-getriggert waren, bei 33% konnte keine Beziehung nachgewiesen werden und bei 22% war die Migräne die wahrscheinliche Ursache der Schlaganfälle (Olesen et al., 1993). Diese und andere Beobachtungen (Broderick and Swanson, 1987) weisen darauf hin, daß Schlaganfall-induzierte Migräne-Attacken häufiger sind als Migräne-induzierte Schlaganfälle.
Erst kürzlich wurde über ein gehäuftes Auftreten von Migräne bei einer weiteren, ebenfalls autosomal dominant vererbten Angiopathie berichtet (Jen et al., 1997). Bei dieser Erkrankung handelt es sich um eine seltene hereditäre Endotheliopathie mit Retinopathie, Nephropathie und Schlaganfällen (HERNS). Auch bei HERNS lassen sich in der Elektronenmikroskopie Gefäßwandveränderungen nachweisen, die sich jedoch von denen bei CADASIL unterscheiden lassen. Wie bei CADASIL ist der Mechanismus der Kopfschmerzen auch hier unklar. Aufgrund der hohen Prävalenz in der Normalbevölkerung (Männer 6%, Frauen 16%) ist der diagnostische Stellenwert von Migräne bei Angehörigen von CADASIL Patienten begrenzt. Es gibt mehrere Berichte über Phänokopien in Familien mit gesicherter Erkrankung (Dichgans et al., 1998; Hutchinson et al., 1995; Mellies et al., 1998; Wielaard et al., 1995).