Forschungsergebnisse

Therapie des postpunktionellen Kopfschmerzes

Autoren



1. Definition und Klinik
Der postpunktionelle Kopfschmerz ist nach der International Headache Society (Code 7.2.1) definiert als: Der postpunktionelle Kopfschmerz ist von dumpfem und ziehendem Charakter und in der Tiefe lokalisiert. Alle Formen der Schmerzintensität von leicht bis unerträglich kommen vor. Die Schmerzen sind häufig occipital oder frontal lokalisiert, können aber auch den ganzen Kopf betreffen. Als Begleitsymptome kommen Nackenschmerzen, -steifigkeit, Rückenschmerzen, Übelkeit, Brechreiz, Schwindel sowie Sehstörungen und Tinnitus vor Der Kopfschmerz tritt meist nach 24-48 h ein und hält im Mittel vier Tage an. Die Beschwerden können aber auch über 3 Wochen bis hin zu einen Jahr anhalten. In den meisten Fällen ist der Kopfschmerz innerhalb von 5 bis 7 Tagen selbstlimitierend.

2. Pathogenese
Die plausibelste Erklärung für das Auftreten des postpunktionellen Kopfschmerzes ist der Verlust von Liquor aus dem Perforationsloch, der nicht zeitgleich durch die Liquorneuproduktion kompensiert werden kann. Folge der Liquorhypotension ist eine Dehnung schmerzsensibler intrakranieller Strukturen wie Gefäße, Meningen, Tentorium und Falx cerebri bei vertikaler Körperhaltung. Messungen des cerebralen Blutflusses bei Patienten mit postpunktionellem Kopfschmerz deuten auf eine cerebrale Vasodilatation hin (Vadhera et al., 1994). Außerdem scheint der intrakranielle venöse Abfluß durch das Absinken der Hirnsubstanz bei fehlendem "Liquorkissen" behindert zu sein, wodurch der intrakranielle Druck ansteigt.

3. Inzidenz
Zahlreiche Faktoren beeinflussen das Auftreten postpunktioneller Kopfschmerzen. Hierzu zählen Alter, Geschlecht, Nadelgröße, Nadelschliff, Punktionsrichtung und die postpunktionelle Bettruhe. Die fehlende Berücksichtigung der verschiedenen Einflußfaktotren auf den postpunktionellen Kopfschmerz führt zu stark schwankenden Inzidenz-Angaben von weniger als 1% über mehr als 40% bei der Spinalanästhesie (Sprotte et al.1987, Flaaten et al., 1989). Bei Epiduralanästhesien zur Entbindung tritt in 0,04 — 6 % eine akzidentelle Durapunktion auf (Berger et al. 1998). Nach akzidenteller Durapunktion mit einer 16 — 18 g Tuohy-Nadel tritt in 59 — 85 % der Fälle ein postpunktioneller Kopfschmerz auf (Flender et al., 1994). Der Zusammenhang zwischen der Inzidenz des postpunktionellen Kopfschmerz und dem Alter bzw. dem Geschlecht der Patienten wird kontrovers diskutiert. Jedoch zeigen die meisten klinischen Studien, daß die Rate postpunktioneller Kopfschmerzen mit zunehmenden Alter des Patienten abnimmt (Rasmusen et al., 1989; Stone und DiFazio et al., 1990, Kreuschner und Sandmann, 1989). Die Altersgrenze mit einer signifikant geringeren Wahrscheinlichkeit des postpunktionellen Kopfschmerzes wird untersucherabhängig zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr angegeben. Es ist umstritten, ob unterhalb dieser Grenze eine kontinuierliche Altersrelation von postpunktionellem Kopfschmerz besteht (Brattebo et al., 1993). Es gibt aber auch Untersuchungen die keine (Quaynor et al., 1990; Frenkel et al., 1992) bzw. keine eindeutige (Büttner et al., 1990) Abhängigkeit des Auftretens postpunktioneller Kopfschmerzen vom Alter zeigen. Frauen scheinen tendenziell scheinen eher unter postspinalem Kopfschmerz zu leiden, als Männer (Büttner et al., 1990, Kreuschner und Sandmann, 1989). Die Ergebnisse randomisierter Doppelblinduntersuchungen zeigen aber keine Abhängigkeit der Kopfschmerzinzidenz vom Geschlecht der Patienten (Rasmussen et al.1989, Quynor et al.1990, Hafer et al. 1997).

4. Therapie
4.1. Prophylaxe
:
Von entscheidender Bedeutung für den postoperativen Kopfschmerz nach Spinalanästhesie ist die Größe des Punktionslochs in der Dura mater durch die Spinalnadel. Zur Prophylaxe des postpunktionellen Kopfschmerzes haben sich daher die "atraumatischen" Nadeln mit konischem Schliff (z.B. Whitacre- oder Sprotte-Nadel) oder Nadeln des Quincke-Typs mit kleinen Durchmessern (z.B. 29 G) bewährt. Bei letzteren soll eine parallele Ausrichtung des Nadelschliffs zur Längsrichtung der Durafasern erfolgen.

Die Kanülenöffnung der Whitacre-Nadel liegt längsoval seitlich und proximal der geschlossenen stumpfen Kanülenspitze ("Pencil-Point-Prinzip"). Die Sprotte-Nadel unterscheidet sich von dieser erstens durch den "atraumatischen" Kanülenschliff in Form eines besonders schlanken geschlossenen Kegels. Zweitens durch die Größe der seitlichen Öffnung (22G und 24G) mit günstigeren Durchflußraten. Durch das Pencil-Point-Prinzip werden die Durafasern beim Vorschieben der Kanüle auseinander gedrängt. Nach Entfernen der Kanüle legen sie sich wieder kulissenartig aneinender. Nach Punktion mit einer Kanüle vom Quincke-Schliff werden die Fasern durchtrennt und hinterlassen ein ellipsenförmiges Loch (Kreuscher und Sandmann, 1989). Verschiedene klinische Untersuchungen, daß die besonders dünne 29G Quincke-Nadel und die 24G Sprotte-Nadel trotz ihrer unterschiedlichen Kanülendurchmesser beide eine sehr niedrige Rate an postpunktionellen Kopfschmerz aufweisen (Lim et al., 1990; Neal et al., 1989; Flanagan et al., 1991).

Die oft geforderte Bettruhe nach einer Spinalanästhesie oder Lumbalpunktion führt nicht zu einer geringeren Inzidenz, Intensität oder Dauer postpunktioneller Kopfschmerzen. Sie verlängert lediglich die Latenz bis zu deren Einsetzten. Die schnelle Mobilisation erleichtert die Pflege der Patienten, vermindert die Thrombosegefahr und bringt möglicherweise eine höhere Akzeptanz beim Patienten für rückenmarksnahe Anästhesieverfahren mit sich.

4.2. Therapie nach Stufenschema
Die Therapie postpunktioneller Kopfschmerzen umfaßt konservativ symptomatische Maßnahmen und aktive medikamenöse sowie invasive Maßnahmen und verläuft nach einem Stufenschema.

4.2.1. Stufe 1: Konservative Ma&Szlig;nahmen
An erster Stelle stehen die konservativen Maßnahmen mit 4.2.2. Stufe 2: Spezielle Medikamentöse Therapie
Kann durch die konservative Therapie keine ausreichende Schmerzreduktion erreicht werden, steht an zweiter Stelle die spezielle medikamentöse Therapie. Zur medikamentösen Therapie des postpunktionellen Kopfschmerzes werden Für alle Medikamente gilt, daß größere placebokontrollierte, doppelblinde und randomisierte Studien zur Wirksamkeit fehlen. Die meisten zur Verfügung stehenden Daten beruhen auf Fallberichten. Die Therapieempfehlungen sind daher nur eingeschränkt zu verwerten. In Anbetracht des experimentellen Charakters dieser Therapien bevorzugen wir den Einsatz von Theophyllin. Die Effektivität ist anhand einer placebokontrollierten Doppelblindstudie nachgewiesen (Feuerstein und Zeides, 1986). Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten. Coffein zeigt zwar initial eine gute Schmerzreduktion, es wird jedoch häufig über ein Wiederauftreten der Beschwerden berichtet (Carmann et al. 1990, Berger et al., 1998). Der Einsatz von ACTH ist aufgrund seiner komplexen Wirkungsweise auf das hormonelle Gleichgewicht zurückhaltend zu stellen. Über den Einsatz von Sumatriptan beim postpunktionellen Kopfschmerz liegen bislang nur sehr wenige Fallberichte vor, so das dessen Effektivität von allen Medikamenten am unzureichensten belegt ist.

4.2.2. Stufe 3: Epiduraler Blood Patch
Der epidurale Blood Patch ist die einzige Methode, deren hohe Effektivität in der Therapie des postpunktionellen Kopfschmerzes in mehreren Untersuchungen an größeren Patientenkollektiven gezeigt werden konnte (Gerig, 1987; Choi et al., 1996). In den Epiduralraum werden langsam 6 bis 10 ml autologes steril abgenommenes venöses Blut injiziert. Bei persistierenden Injektionsschmerzen muß die Injektion gestoppt werden. Die Ausbreitung des Blutes erfolgt über mehrere Segmente (pro 1,5 — 2 ml ca. 1 Segment) (Gerig, 1987). Die durchschnittliche Erfolgsrate liegt bei ca. 90 % (Gerig, 1987, Berger et al. 1998; Hess, 1991). Ist der erste Blood Patch erfolglos, kann durch eine Wiederholung der Gesamterfolg auf 97 bis 98 % gesteigert werden (Gerig, 1987).

Die prophylaktische Blutplombe hat eine deutlich geringere Erfolgsrate als die therapeutische (Gerig, 1987) und ist mit Nebenwirkungen behaftet. Als Kontraindikationen sind selbstverständlich die allgemeinen Kontraindikationen einer rückenmarksnahen Regionalanästhesie anzusehen (Gerinnungsstörungen, lokaler Infekt, Sepsis, fehlendes Einverständnis). Hinzu kommen Fieber, Bakteriämie wegen des erhöhten Risikos der Besiedlung des epiduralen Hämatoms und HIV. Die Nebenwirkungen des epiduralen Blood Patch sind in Abbildung 1 und 2 aufgeführt.

Leichte und mittelschwere Nebenwirkungen des Blood Patch :
Rückenschmerzen
Rückensteife
Vorrübergehende Parästhesien
Radikuläre Aussstrahlungen
Lokale Druckempfindlichkeit
Abdominelle Krämpfe, Völlegefühl
Temperaturanstieg (1° für 1 — 2 Tage)
Unerwartete Durapunktion

Abbildung 1

Schwere Nebenwirkungen des Blood Patch
Epiduraler Abzeß
Adhaesive Arachnoiditis
Subdurales spinales Hämatom
Partielle oder totale Obliteration des Epiduralraumes

Abbildung 2



Literatur
  1. Berger CW, Crosby ET; Grodecki W: North American survey of the management of dural puncture occurring during labour epidural analgesia; canadian Journal of Anaesthesia 45: 110 — 114, 1998
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  3. Büttner J, Wresch KP, Klose R: Bietet eine konisch geformte Kanülenspitze Vorteile bei der Spinalanästhesie; Regional-Anaesthesie 13: 124 — 128, 1990
  4. Camann WR, Murray RS, Mushlin PS, Lambert DH: Effects of Oral Caffeine on Postdural Puncture Headache; Anesth Analg: 70: 181 — 184, 1990
  5. Choi A, Lauritio CE, Cunnigham FE: pharmacologic management of postdural puncture headache; Annals of Pharmacotherapy 30 (7 — 8): 831 — 839, 1996
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  7. Flaaten H, Rodt SA, Vamnes J et al.: Post dural puncture headache: A comparision between 26- and 29-gauge needles in young patients. Anaesthesia 42: 202 — 205, 1989
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  19. Stone DJ, DiFazio CA: Postspinal Headache in Older patients; Anesth Analg 70: 222, 1990
  20. Vadhera R, Suresh S, Gayathri Y, Alvarado M, Belfort M, Cruz A: The relation of cerebral blood flow to post dural puncture headache; Anesthesiology 81 (No 3A): A 1168, 1994
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